Das berühmteste Findelkind aller Zeiten ist Kaspar Hauser. Bis heute wird gerätselt, ob er ein abgeschobener badischer Prinz war. Die Findelkinder aus der Grafschaft Wertheim, um die es hier geht, sind nicht so bekannt geworden. Aber auch sie haben Spuren in den Akten hinterlassen, weil sie aus Kassen der Grafschaft unterstützt wurden.

Die Mütter, die ihre Kinder aussetzten, befanden sich in schweren Notlagen. Aber sie wollten, dass diese Kinder lebten. Sie sollten gefunden werden. Dann musste sich jemand um sie kümmern und jemand musste das Ganze bezahlen. Es geht also um ein Stück Sozialpolitik in der Zeit der Grafschaft Wertheim.

Eine der Kassen, die für Findelkinder zahlten, war das Almosen. Es finanzierte sich hauptsächlich durch Zinseinnahmen aus Geldverleih, die dann vor allem ins Siechenhaus an der Vockenroter Steige flossen. Auch Bedürftige in der Stadt Wertheim, arme Schüler und arme Leute auf Wanderschaft bekamen Geld. Im Jahr 1683 gab das Almosen Geld für ein Findelkind: Georg Hahn, Wertheimer Bürger und Leineweber von Beruf, erhielt wöchentlich 15 Kreuzer „zu Uferziehung des von ihm ufgenommenen Findlings, eines jungen Knäbleins“. Was Hahn zu der Tätigkeit als Erzieher qualifizierte, darüber wissen wir leider ebenso wenig wie über die Herkunft des Knäbleins. Aber das Findelkind wurde in Wertheim in einer Familie untergebracht und versorgt, und eine sozusagen staatliche Kasse finanzierte die Kosten. Zum Vergleich: bedürftige Wertheimer erhielten aus dem Almosen wöchentlich acht Kreuzer. Lange scheint Leineweber die Betreuung nicht gemacht zu haben, im Jahr darauf steht er nicht mehr in der Rechnung.

Das Leben wird teuer

Das nächste Findelkind der Grafschaft Wertheim erscheint im Jahr 1699. Es war bei Christina Bauer in Niklashausen untergebracht, die jetzt wöchentlich 30 Kreuzer für ihre Tätigkeit erhielt. Das Leben scheint damals teuer geworden zu sein. Das Geld kam diesmal nicht aus dem Almosen, sondern aus dem Wertheimer Hospital. Auch das Hospital erzielte seine Einnahmen überwiegend aus dem Verleih von Geld gegen Zinsen, die dann in den Betrieb des Spitals flossen. Der Fall des Niklashäuser Findelkinds zeigt, dass das Spitalvermögen auch für andere soziale Belange in der Grafschaft eingesetzt wurde.

Wenige Jahre später gab es in Sachsenhausen das nächste Findelkind der Grafschaft. Einen Namen bekam auch dieses Kind in den Akten nicht, sonst aber ist dieser Fall recht gut dokumentiert. Das Kind wurde sogar in einer Sitzung der Wertheimer Regierung behandelt. Dort erschien am 8. November 1706 der Gemeindeknecht von Sachsenhausen Georg Riedberger und zeigte an, dass nachts ein Kind vor der Tür von Christoph Dinkel abgelegt worden war. Die Gemeinde will das Kind nun Dinkels Frau in die Kost geben und fragt, wie viel dafür wöchentlich als Alimentation gegeben werden soll. Eine Antwort gab die Regierung nicht, die Höhe des Unterhalts wird ins Belieben der gnädigen Herrschaft gestellt. Trotzdem erfahren wir hier Interessantes: Erstens muss es sich um ein Baby gehandelt haben, weil man ein älteres Kind nicht hätte „ablegen“ können. Zweitens scheint die Mutter in der Gemeinde nicht bekannt gewesen zu sein, sonst wäre der Name hier gefallen, und die Regierung ordnete auch keine Untersuchung an, um ihn herauszufinden. Kam das Kind von außerhalb? Dann hätte die Mutter sich nachts zu Fuß auf den Weg in ein anderes Dorf gemacht haben müssen. Klar ist jedenfalls, dass die Gemeinde sich kümmerte und Frau Dumke den Auftrag bekam, das Kind zu versorgen. Die Kosten übernahm die Grafschaft, genau dafür war der Gemeindeknecht in die Residenzstadt geschickt worden. Deren genaue Höhe festzulegen war Sache der Grafen, die hier als soziales Gewissen der Grafschaft fungieren.

Ein Findelkind aus Sachsenhausen

Das Sachsenhäuser Findelkind lässt sich über zehn Jahre in der Hospitalrechnung nachweisen. Meist wurden wöchentlich 12 Kreuzer gezahlt, in manchen Jahren auch 15 Kreuzer. Ob das an der Inflation lag oder an zusätzlichen Krankheits- oder Ausbildungskosten, ist nicht zu sagen. Die „Bezugsfamilien“ scheinen jedenfalls gewechselt zu haben. 1715/16 war es die Witwe von Johann Dressler, die das Kind „wiederum auf ein Jahr in Kost und Kleidung“ hatte, im Jahr darauf die Witwe von Hans Villdeser. 1714/15 wurden für das Sachsenhäuser Findelkind insgesamt 10 Gulden und 24 Kreuzer im Jahr bezahlt. Zum Vergleich: Das Hospital zahlte in diesem Jahr 24 Gulden für eine Kuh und 28 für einen Ochsen. Die Ausgaben für das Findelkind waren also verglichen mit den Viehpreisen relativ bescheiden. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass die Versorgung von Findelkindern damals offenbar funktioniert hat.

Druck: Fränkische Nachrichten 5.3.2015