Im Jahr 1604 kümmerte sich der Wertheimer Tuchmacher Wolf Ziegler um das Erbe seiner Frau. Deren Familie besaß nämlich ein Haus in der Maingasse (wo genau, weiß man leider nicht), und ihre beiden Brüder hatten die Stadt verlassen. Sie waren in die Fremde gezogen, niemand wusste wohin. Der eine Bruder, Jacob Schmid, hatte seine Frau in Wertheim zurückgelassen, der andere, Caspar Deuschlein, sogar Frau und Kinder. Die waren mittlerweile verstorben. Für ihren Besitz hatte die Stadt Vormünder eingesetzt. Wenn Ziegler an das Haus kommen wollte, musste er die beiden Brüder für tot erklären lassen.

Das war aber gar nicht so einfach. Die beiden Wertheimer waren in jene große Auseinandersetzung mit den muslimischen Osmanen gezogen, die damals eine ganze Epoche prägte. 1453 hatten die Osmanen Konstantinopel erobert, 1521 Belgrad und 1529 große Teile von Ungarn. Im selben Jahr belagerten sie Wien, ohne Erfolg. Trotz verschiedener Friedensschlüsse blieb der Konflikt das ganze 16. Jahrhundert über präsent. Auch die Wertheimer Grafen (bzw. ihre Untertanen) zahlten wie alle Mitglieder des Heiligen Römischen Reiches ständig „Türkensteuern“ an den Kaiser. In den 1590er Jahren brach der Krieg dann erneut aus und die Türken eroberten habsburgische Festungen. Damals dürften auch Schmid und Deuschlein nach Ungarn gegangen sein. Es kam immer wieder vor, dass Wertheimer ihre Heimat verließen und sich in diesen Kämpfen als Landsknechte verdingten. Meist hörte man nie wieder etwas von ihnen.

Nicht so bei Schmid und Deuschlein. Über Schmid wusste Stadtrat Höfer zu berichten, dass er längere Zeit als Kriegsmann auf der Insel Malta gedient hatte. Höfers Sohn hatte ihn im Vorjahr irgendwo im Süden Europas getroffen, und der hatte ihm danach sogar mehrfach geschrieben. Leider sind diese Schreiben nicht in den Akten, aber die Botschaft war klar: von totgesagt konnte keine Rede sein. Ganz ähnlich beim anderen Bruder, Caspar Deuschlein. Der hatte vor einem Jahr sogar einen Brief an seinen Schwager, den Wertheimer Barbier Sebastian Wacker, geschickt. Wacker meinte, Deuschlein sei mit Wissen der Herrschaft nach Ungarn „wider den Erbfeind“ gezogen. Der Brief ist unter wahrlich abenteuerlichen Umständen entstanden: Deuschlein befindet sich in türkischer Haft auf der Festung Gyula. Es gelingt ihm, einen Brief nach Wien zu schmuggeln. Er rechnet damit, in der Haft zu sterben, und weiß noch nichts vom Tod seiner Frau und der Kinder in Wertheim. Leider hat Barbier Wacker damals nicht den Originalbrief bei der Regierung eingereicht, sondern eine Abschrift. Aber auch sie ist doch sehr interessant. Schließlich dürfte es nur ganz wenige Zeugnisse von Wertheimern geben, die in einer ungarischen Festung in türkischer Haft saßen. Wir geben den Text deshalb hier vollständig wieder: „Mein freundtlichen Gruß und mit Wünschung alles Gutes, aller zeitlichen und ewigen Wolfart, so kann ich euch nit verhalten lieber Schwager Sebastian Wacker zu Wertheim, das ich Caspar Deuschel, Büchsenmacher und Mitburger zu Wertheim gewesen, aber itzunder gefangen under dem Türcken auf der Vestung Julam [Gyula] so lang als Rab [Raab] eingenommen ist worden, so ist auch auf dieser Zeit ein Edelman gefangen worden und auf die Vestung gefürt, der ein Zeit lang darauf ist gelegen, so hat er ein Post nach Wien gethan und ich ihn gebeten, das er ein Schreiben zu seinem gesteckt hat und gen Wien ins Botenhaus uberantwort und darnach weiter zu schicken, wo es hin gehört. So ist mein Bitt an euch Schwager, ihr wölt vleissig acht auf mein Weib, Kinder haben das sie auch möchten erhalten werden. Das nit mehr zu hoffen ist das ich möchte wider ledig werden, dann ihr wist wol das ich schwach bin und nit mehr fort komen kann. Ich het noch viel zu schreiben, aber die Zeit will es nit leiden bey eim gefangen man. Nit mehr auf dis mal. Ich wünsch meiner Hausfrau und mein Kindern, mein Schwager und meiner Geschweien und meiner Tochter zu Würtzburg und euch alle mit einander viel tausent guter Nacht. Caspar Deuschel, Büchsenmacher von Wertheim.“

Druck: Fränkische Nachrichten 30.5.2016