In früheren Zeiten brauchte man Boten, um Informationen an ferne Orte zu bringen. Erst beschrieb man Papier, dann ging es ab per Boten. In einem System von Herrschaften wie dem der Löwenstein-Wertheimer mit Besitzungen im Odenwald und bei Heilbronn, im heutigen Belgien, in Frankreich, der Pfalz und schließlich auch in Böhmen, wurde allerlei Papier hin- und her getragen. Denn die zentrale Kanzlei saß in Wertheim. Berichte aus den anderen Besitzungen mussten nach Wertheim zur Kanzlei gebracht werden und von Wertheim gingen Weisungen an die Amtleute in den Außenbesitzungen ab. Ohne funktionierende Übermittlungssysteme hätte man sich jeden Versuch von Herrschaft gleich schenken können. Und das hieß: Die Überbringer der Nachrichten, die Boten, hatten eine zentrale Aufgabe in diesem System. Verfolgen wir einige dieser Wertheimer Boten auf ihren Wegen durch die Frühe Neuzeit.
Im März 1580 ging der Bote Hans Pfister in der „Causa Triefenstein“ nach Erlenbach. Bei den Papieren, die er beförderte, dürfte es sich um die üblichen Rechtsstreite zwischen Wertheim und dem Kloster Triefenstein gehandelt haben, bei denen es um Steuerzahlungen der Untertanen, um Triebrechte und immer wieder um Jagdrechte ging. Das zog sich durch die Jahrhunderte und war zwischen Nachbarn so üblich. In Mergentheim tagte in diesem Jahr immer wieder eine Kommission wegen der Witwe von Dürn, an der die Wertheimer irgendwie beteiligt waren. Im März gingen allein zwei Boten ab. Weitere Botengänge in die Umgebung: Klaus Gösswein lief wegen einer Vormundschaftsrechnung nach Dertingen, Zell, Holzkirchen, Remlingen und Helmstadt. Die Zollrechnung musste aus Freudenberg geholt werden und Unterlagen nach Schweinberg gebracht, beides damals noch Amtsorte der Grafschaft Wertheim.
Der Hauptbote der Grafschaft Wertheim in diesem Jahr hieß „Lienhard der Bott“. Im März musste er eine „Nominationsschrift dreier Reichsfürsten gegen die Grafschaft Wertheim“ nach Stolberg im Harz tragen. Aus Stolberg hatte Ludwig zu Stolberg-Königstein gestammt, jener Graf, dessen älteste Tochter den Wertheimer Grafen Michael geheiratet hatte, weshalb der Stolberger nach Michaels Tod die Grafschaft regierte. Den Weg in den Harz machte „Lienhard der Bott“ übrigens mit Aufenthalten in Wernigerode und Quedlinburg plus sieben Tagen Warten auf Antwort.
Neben dem Gehen war das Warten die Haupttätigkeit im Leben eines Boten. Das Warten verursachte natürlich auch Kosten. Im April musste Lienhard weit nach Nordwesten in den Eifelort Schleiden, um dem Herren von Manderscheid Briefe zu übergeben. In Schleiden hatte er fünf Tage Aufenthalt wegen Wartens auf Antwort. Der Manderscheider Graf war damals wie der Löwensteiner als Schwiegersohn des verstorbenen Grafen von Stolberg an der Regierung der Grafschaft Wertheim beteiligt – hört sich kompliziert an, und das war es auch. Im Juli wiederholt der Bote den Weg nach Schleiden, überbracht wurden Schriftstücke zur Verwaltung der Grafschaft Wertheim. Im August 1580 ging Bote Lienhard nach Löwenstein bei Heilbronn, in jene Grafschaft also, von der die Löwensteiner ihren Namen haben. Vier Tage musste er auf Antwort warten. Auch Matthes Bauer, der im selben Monat in nach Speyer zum Reichskammergericht geschickt wird, wartete dort vier Tage. Speyer war häufiges Ziel von Boten aus allen Gegenden des Heiligen Römischen Reichs, weil dessen Ritter, Grafen und Fürsten ebenso wie Äbte und Bischöfe, aber auch Untertanen oder Dörfer, dort gegeneinander Klage zu führen pflegten.
Reger Botenverkehr herrschte auch zwischen Wertheim und Breuberg im Odenwald. Dort teilten sich die Wertheimer die Herrschaft mit den Erbacher Grafen und meist residierte auch ein Löwenstein-Wertheimer im Odenwald. Der Odenwald war ein gutes Jagdgebiet. Die Wertheimer Boten überbrachten häufig die Nachricht, man möge frisches Wildbret schicken. Im November des Jahres 1580 war sogar „ein Fässlein Wildbret“ gewünscht, das Fleisch dürfte also eingelegt gewesen sein.
Die Jahre gingen ins Land, die Boten gingen ihrer Wege und das Problem mit dem Warten blieb bestehen. 1598 wurde Georg Schleusinger nach Ansbach geschickt, an den Hof der dortigen Markgrafen. Den Weg erledigte er zügig, musste dann aber drei Tagen Warten („still liegen“, heißt es in der Quelle). Nach drei Tagen stellte sich heraus, dass seine Ansprechpartner in Schwabach sein sollten, also machte er sich auf nach Schwabach. Eine ganze Woche pendelte Schleusinger nun zwischen Schwabach und Ansbach, immer wieder mit Warten. Am 2. September abends machte er sich auf den Rückweg, am 4. September erreichte er Wertheim. Für jede gelaufene Meile erhielt er zwei Batzen, für die Wartetage „Stillieggeld“. 1598 führte übrigens ein viel geschickter Wertheimer Bote den schönen Namen „Nicolaus Frauenlob“. Hoffen wir, dass Nikolaus ein gutes Bild abgab, wenn er die Wertheimer Verwaltungsdinge durch die Lande trug. Er war viel unterwegs: Im September nach Wenkheim und auf den Breuberg, im Oktober nach Johanniskirchen in der Pfalz, nach Remlingen, Fulda und Mergentheim.
1607 war die Meile für den Boten sechs Kreuzer wert. So viel erhielt Simon Rettstadt, der mit „unterschiedlichen Schreiben“ nach Löwenstein und weiter nach Schwäbisch Hall ging. Ein wenig Kulturgeschichte wird sichtbar, als der Bote Schilling auf Befehl des Grafen Ludwig im März 1607 nach Mergentheim abgeht, um dort den Bildhauer Erhard Barg aufzusuchen. Der Gang wiederholte sich im Juli. Was wollte der Graf von Bildhauer Bark? Gab er etwas in Auftrag? Der Botenzettel schweigt dazu. Bildhauer Erhard Barg aus Schwäbisch-Hall hatte am Manderscheider Grabdenkmal in der Stiftskirche gearbeitet und einige weitere Dinge zwischen Würzburg und Mainz. Genaue Lebensdaten sind allerdings nicht bekannt und auch keine Werke nach 1600. So bringt uns der Botenzettel heute zwar keinen Hinweis, was der Graf Ludwig von Erhard Barg wollte, aber immerhin die Information, dass der Bildhauer noch unter den Lebenden weilte.
Druck: Fränkische Nachrichten 2.1.2012