Bei diesen inzwischen unter der Signatur G-Rep. 102 Nr. 1696 im Staatsarchiv Wertheim aufbewahrten Namenslisten handelt es sich um fünf undatierte Fragmente von nach Orten sortierten Aufzählungen männlicher Einwohner der Grafschaft [Lage I bis V]. Vier davon sind sich im äußeren Erscheinungsbild sehr ähnlich und scheinen von ein und derselben Hand zu stammen. Von anderer Hand geschrieben ist dagegen das hier als Lage II bezeichnete Blatt für Remlingen und Uettingen, das die Namen nicht tabellarisch, sondern als Fließtext, getrennt jeweils durch Punkte, auflistet. Auffällig und momentan nicht zu erklären ist, dass die Orte Dertingen, Dietenhan und Höhefeld sowohl in Lage IV als auch in Lage V aufgeführt werden, anscheinend aber ohne dass es zu Doppelnennungen einzelner Einwohner kommt.
Bei den Listen dürfte es sich um eine Aufnahme anlässlich einer Huldigung handeln. Es fehlen die für Steuerlisten unabdingbaren Zahlenangaben, dagegen werden bei verschiedenen Orten ausgebliebene Männer entschuldigt, teils wegen Alter, teils wegen Krankheit, oft nur mit dem lapidaren Vermerk „nit do“. Solche Formulierungen sind typisch für Erbhuldigungslisten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang in Marktheidenfeld die Angabe „Merte Gernet ist außen pliben von forcht wegen“.
Zur Datierung der Listen ist man auf Vergleiche mit anderen Quellen angewiesen. Dabei fällt auf, dass zahlreiche Namen auch in den Unterlagen zum Bauernkrieg Erwähnung finden, zum Beispiel ist der hier als Marktheidenfelder Schultheiß genannte Philipp PFISTER auch am 9.5.1525 in dieser Funktion belegt. Die Lebensdaten einiger Männer können mit Hilfe der Wertheimer Stadtbücher eingegrenzt werden. In Wüstenzell beispielsweise ist hier Hans GROHE noch genannt, der 1526 verstorben war. In Erlenbach dagegen wird Georg JOST aufgeführt, der im Juni 1523 anscheinend als Junggeselle Mathes HEIMS verlassene Witwe Els STUMPF geheiratet hatte.
Kann man also die Entstehungszeit der Liste auf 1523/26 eingrenzen, so bietet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Neuverpflichtung der Bauern nach dem Scheitern des Bauernkriegs als Anlass an. Neben erheblichen Strafgeldern mussten die treulos gewordenen Untertanen den Grafen von Wertheim neuerlich die Treue geloben. Auf den Ort der mutmaßlichen Huldigung weist ein Vermerk bei Kreuzwertheim hin: „Diese 3 sein nit hoben gewest“ wird man so deuten können, dass die Untertanen auf die Wertheimer Burg zu kommen hatten – sicher nicht alle gleichzeitig, das wird der Obrigkeit wohl als zu heikel erschienen sein. So kam es wohl auch, dass verschiedene Schriftstücke angelegt wurden, vermutlich nur als Arbeitsunterlage für eine spätere Reinschrift.
Vollständig ist die Liste der Grafschaftsorte nicht, zum Stand dieser Auswertung fehlen die Orte Boxtal, Schweinberg, Pülfringen, Gissigheim, Kredenbach, Waldbüttelbrunn, Ödengesäß, Eichel, Vockenrot, Niklashausen, Lengfurt, Freudenberg, Laudenbach und Billingshausen. Dass Lengfurt nicht huldigen musste, erscheint naheliegend, da sich die Lengfurter als einziger Ort nicht am Aufstand beteiligt haben sollen. Für die übrigen Orte bleibt die Hoffnung, vielleicht in den noch zu erschließenden Beständen des Staatsarchivs Wertheim noch weitere Fragmente zu finden.
Hinsichtlich der Vollständigkeit der Listen selbst kann man nur Vermutungen anstellen. Offensichtlich wurden nur Männer erfasst, Witwen auch dann nicht, wenn sie Haushaltsvorstände waren. Ob auch Männer erfasst sind, die wegen des Bauernkriegs inhaftiert waren, muss zu klären einer genaueren Untersuchung vorbehalten werden. Die beiden bekanntesten Anführer der Bauern, Kleinhans von Uettingen und der Wirt Ebalt von Reicholzheim, könnten sich hinter „Klein Hanß“ in Remlingen (!) und „Ewalt Fretz“ in Reicholzheim verbergen – vielleicht aber auch nicht.
Einen zeitnahen Vergleich bietet eine ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene Schatzungsliste der Grafschaft von 1524 (G-Rep. 54 Nr. 96). Boxtal, Schweinberg, Pülfringen, Gissigheim, Kredenbach, Waldbüttelbrunn und Ödengesäß sind zusätzlich in dieser erhalten. Die Einwohner von Altfeld, Reicholzheim, Ebenheid, Hardheim, Steinmark, Sachsenhausen, Dörlesberg und Nassig werden in beiden Listen geführt.
Hingewiesen werden soll auch noch auf die Liste der Teilnehmer am Bauernkrieg, die in der Akte G-Rep. 49 Nr. 160 enthalten ist. Aus diesen beiden Quellen kann der Überblick über die Bevölkerung der Grafschaft in der Zeit des Bauernkriegs, den die hier vorgelegten Namen ermöglichen, noch vertieft werden.
Claus Müller, Aug. 2011