Wertheimer Wein wurde auch fern von Main und Tauber geschätzt. Nach Nürnberg, Leipzig und Frankfurt gingen die Handelsströme des Weins in der Frühen Neuzeit, dort saßen die Kaufleute, die für weitere Verteilung sorgten.
Im folgenden Beispiel haben wir es mit Wein der Grafen Löwenstein im Odenwald zu tun. Die Löwensteiner teilten sich die Herrschaft Breuberg mit den Erbacher Grafen, und so kamen die Erbacher Vettern in Kontakt mit dem Wein vom Main. 1628 hatte sich Graf Ludwig von Erbach solchen aus dem Jahr 1624 kommen lassen (gut sieben Eimer, etwa 500 Liter). Der Wein muss gut gewesen sein. Ludwigs Bruder wollte auch welchen haben und wandte sich deswegen an den Wertheimer Amtmann auf dem Breuberg, wo der Wein gelagert war. (Damals wurde übrigens auch im Odenwald in größerem Stil als heute Wein produziert. Aber über Odenwälder Wein dürften die Erbacher Grafen selbst verfügt haben. Deshalb nehmen wir hier einmal an, die Erbacher hätten sich den besseren Wertheimer vom Löwensteiner Main kommen lassen.)
Der Amtmann sah allerdings Schwierigkeiten. Denn man hatte kein offenes, angestochenes Fass mehr von dem guten 1624er, sondern nur noch komplette, vollständig gefüllte Fässer. Lohnte sich aber der Anstich für die vom Erbacher Grafen gewünschten drei oder vier Eimer? Damit verbunden war nämlich ein höchst leidiges Problem der Weinlagerung bis heute: der Luftkontakt. War ein Fass nicht mehr vollständig gefüllt, warf der Luftkontakt den Wein leicht aus der Bahn.
Amtmann Cuno hat die Lösung
Amtmann Cuno allerdings lieferte seinem Grafen in Wertheim auch gleich die Lösung. Man habe noch ein 4,5-Fuder Fass mit 1624er Zehntwein von Trennfurt und Wörth, den man auch schon für einen Teil der Lieferung an den Erbacher Grafen herangezogen hatte. Aha – die sieben Eimer des Erbacher Grafen waren also ein Verschnitt gewesen, oder sagen wir neutraler: eine Cuvée. Die Zehntweine wurden aus dem Traubenzehnten der Untertanen gekeltert und hatten nicht die Qualität der Eigengewächse. Das Fass mit dem 1624er Zehntwein war dann mit 1627er aufgefüllt worden, ganz jungem Wein also, der als „Füllwein“ dienen musste, um Luftkontakt zu vermeiden. Wenn man nun, so der Vorschlag, dem Erbacher aus diesem Fass zwei oder drei Eimer zapfe, könne man den Rest wieder mit 27er auffüllen. Amtmann Cuno hatte allerdings Bedenken, ob man wirklich so verfahren sollte. Er fand den Zehntwein nämlich grauslich. Mit diesem Wein, so der Amtmann, würde man bei den Erbacher Vettern wohl eine „Offension causirn“, also eine Beleidigung verursachen.
Graf Wolfgang Ernst aber wollte seine Vettern aus dem Odenwald nicht vor den Kopf stoßen und bestimmte, der Amtmann solle eines der vollen 1624er Fässer anzapfen. Und hinterher wieder auffüllen. So machte man das damals.
Agoston Haraszthys Lob des Wertheimer Weins
Gut 200 Jahre später hatte es der Wertheimer Wein dann nach Amerika geschafft. Zumindest in Schriftform jedenfalls, denn 1862 erschien in New York ein Buch, das den Wertheimer in den höchsten Tönen lobte. Unter allen Frankenweinen sei er dem Rheinwein (damals das Maß aller Dinge) am ähnlichsten, heißt es. „The Wertheimer wines, on account oft the rich soil, are heavy, and their essential qualities become developed only in the course of six or eight years.” Auch der Kallmuth wird erwähnt, in einem Zug mit Würzburger Leisten- und Steinwein – “the best kind of this wine“.
Ein schönes Lob, das die Leser an der Upper East Side und in Manhattan da serviert bekamen. Es wurde kredenzt vom amerikanischen Weinpionier Agoston Haraszthy. Der gebürtige Ungar hatte in Kalifornien ein großes Weingut aufgebaut und experimentierte mit Reben, die er sich aus Europa schicken ließ. 1861 machte er sich im Auftrag des Staates Kalifornien auf eine Reise durch Europa, um den dortigen Weinbau zu studieren. Das Ergebnis war die Schrift, aus der wir eben zitiert haben.
Haraszthy begann in Paris, bereiste das Burgund, machte Station im Kloster Eberbach und dem Metternich‘schen Weingut Johannesberg, er war im Chateaux Margaux, in Italien und Spanien. Aber war er auch nach Wertheim gekommen? Hatte er das Lob des Wertheimer Weins im Schatten der Burg entwickelt mit einem Wertheimer Tropfen auf der Zunge?
Leider ist die Antwort nein. Haraszthy kam nicht bis Wertheim. Er hatte an dieser Stelle seines Buches lediglich die Übersetzung eines in Deutschland seinerzeit verbreiteten Textes eingebaut. Der Nürnberger Johann Carl Leuchs hatte ihn verfasst und seit der ersten Auflage 1829 immer wieder erweitert. Bei Leuchs heißt es: „Die Wertheimer Weine kommen unter allen Frankenweinen dem ächten Rheinweine im Geschmack am nächsten, sind, wenn auch nicht feurig, doch süßer, milder und angenehmer, und werden daher von manchen wegen ihrer der Gesundheit zuträglichen Eigenschaften den Rheinweinen vorgezogen … .“
Das war nun auch gut gelobt. Man kann sich immerhin vorstellen, dass Haraszthy dieses Lob nicht nur gelesen, sondern auf seiner Reise die Wertheimer Gewächse auch einmal probiert hatte. Gut gegen Hämorrhoiden sollte der Wertheimer Wein auch sein.
Übrigens lässt sich aus exakt diesen Jahren ein Beleg für den Export von Wein unserer Region nach Amerika finden. Die Rechnung der Kellerei Löwenstein aus dem Jahr 1862/63 hält eine Lieferung von einem Eimer Lengfurter 1858er an „Herrn Gillig von Banvalo in America“ fest. Ob sich hinter dem wohlklingenden Namen gar Agoston Haraszthy verbirgt, dessen Weingut in Kalifornien „Buena Vista“ hieß?
Druck: Fränkische Nachrichten 1.9.2011