Wein gehört von Anfang an zur Wertheimer Geschichte. Wenn im Mittelalter Grundstücke verkauft oder verschenkt wurden und man darüber Urkunden auf Pergament ausstellte, dann geht es dabei in unserer Region immer wieder auch um Weinberge. Als das Zeitalter der Schrift an Main und Tauber begann, da war der Wein schon da.
Seit dem 15. Jahrhundert werden die Belege dichter und man kann auch Handel mit Wertheimer Wein nachweisen. 1507 hatte ein Nürnberger Kaufmann „Wertheimer“ in seinem Keller. Aus dem Jahr des Bauernkriegs 1525 gibt es einen schönen Beleg für das hohe Ansehen des Wertheimer Weins. Erbkämmerer Sittich von Berlepsch war in Bad Langensalza in allerlei Bredouillen geraten, u.a. hatten die Bauern ihn in seinem Turm belagert. Als alles überstanden war, schilderte er dem Wertheimer Grafen Georg die Ereignisse in einem Brief. Zu dessen Abschluss bestellte er ein Fuder Wertheimer Wein nach Schmalkalden – im Tausch gegen Einbecker Bier. Wertheimer Wein und Einbecker Bier – das klingt nach zwei regelrechten Markenbegriffen dieser Zeit.
Ein Hinweis auf die Beliebtheit des Weintrinkens vor Ort ist die Gastwirtschaftsordnung des letzten Wertheimer Grafen Michael. Sie verbot „Morgenzeche“ und „Schlaftrunk“ in den Wirtschaften der Grafschaft Wertheim und erlaubte das Weintrinken nur zwischen 12 und 17 Uhr. Danach sollte Schluss sein. Mit Graf Michael starben die alten Wertheimer Grafen 1556 aus.
Wein auf dem Reichstag
Von ihren Nachfolgern, den Löwensteinern, sind dergleichen rigorose Regelungen nicht bekannt. Graf Ludwig zu Löwenstein sorgte vielmehr persönlich für die Verbreitung des Wertheimer Weins, als er 1594 sieben Fässer mit gut 33 Eimern Inhalt (etwa 2500 Liter) mit zum Reichstag nach Regensburg nahm. Mit dem Wein erfreute er täglich seine Tischgäste, gewiss auch noch nach 17 Uhr. Aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges sind einige Weingeschäfte mit Leipzig und Frankfurt dokumentiert, die gegen einen völligen Niedergang in diesen Jahren sprechen. 1691/92 erwarb Johann Georg Sinner aus Leipzig 7500 Liter von der Kellerei Löwenstein, davon über 3000 Liter Rotwein. Es war ein besonders erfolgreiches Jahr: Ein Kaufmann aus Zwickau orderte ein Fuder (920 Liter) 1684er Roten, einer aus Suhl sogar zwei Fuder und zehn Eimer, ein Oberst aus Kursachsen kaufte acht Eimer 1684er. Ansonsten sind Nachrichten über den Direktverkauf von Wertheimer Wein aus der Kellerei Löwenstein in diesen Jahrzehnten allerdings eher selten. Kein Wunder, denn der Verkauf war die Ausnahme. Produziert wurde der Wein in erster Linie für den Eigenbedarf des Hofes und die Besoldung der Beamten.
Wertheimer Wein in Weimar: Goethe …
Etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts lösten Rhein- und Moselwein den Franken als Modewein ab. In der Kellerei in Kreuzwertheim veranstaltete man nun Auktionen, die von Händlern aus der Region besucht wurden. Leider haben sich kaum Unterlagen dieser Händler erhalten, und so weiß man auch nicht, auf welchem Weg der Wein aus Wertheim zu den Händlern Ramann in Erfurt und Zapf in Suhl kam. Und man kann auch nicht genauer sagen, welchen Wein sie eigentlich als „Wertheimer“ in ihren Fässern hatten – Sorte und Weinberg bleiben unbekannt. Aber dafür kennt man den Namen ihres berühmtesten Kunden, der immer wieder „Wertheimer“ bestellte: Johann Wolfgang von Goethe.
Die erste nachweisbare Lieferung Wertheimer Gewächses erhielt der Geheimrat gewissermaßen ersatzweise. Weinhändler Johann Justin Zapf schickte 1797 Wertheimer, weil der eigentlich bestellte Würzburger ausgegangen war. Der Wein kam nicht schlecht an, 1798 und 1800 orderte Goethe jeweils sechs Flaschen Wertheimer bei Zapf. Keine gewaltige Menge, aber immerhin. 1801 ließ er sich von Händler Ramann aus Erfurt acht Flaschen Wertheimer schicken. Regelmäßige Bestellungen aus Weimar also. Der Konsum des Wertheimer Weins war im Haushalt Goethes zur schönen Gewohnheit geworden.
Mitte Mai 1816 schickte Goethes Ehefrau Christiane Vulpius ihm zwei Flaschen Wertheimer nach Jena. Sie hatte, wir müssen es leider feststellen, keine hohe Meinung vom Wertheimer Gewächs. „Den Wertheimer liebe ich mir nicht“, soll sie einmal geäußert haben, und an anderer Stelle: „keinen Wertheimer nehm ich nicht“. Goethe bestellte trotzdem. Am 30. Mai 1816 orderte er persönlich einen ganzen Eimer (76 Liter) „guten reinen Wertheimer“ bei Ramann. Sollte Ramann umstandslos geliefert haben, könnte die Vulpius noch einen letzten Schluck Wertheimer genommen haben. Sie starb am 6. Juni 1816. Goethe überlebte seine Frau um fast 16 Jahre. Sein letzter Wein soll übrigens ein Franke gewesen sein, Gottseidank aber kein Wertheimer. Im „Weinbuch“ seines Dieners ist als letzte Flasche am 19. März 1832 Escherndorfer aus dem Jahr 1827 festgehalten. Drei Tage später war der Meister tot.
… und Wieland
Goethe war übrigens nicht der einzige Weimarer, dessen Schaffen von Wertheimer Wein begleitet wurde. Christoph Martin Wieland, der vieles geschrieben hat und Herausgeber der ersten deutschen Literaturzeitung war, bestellte 1809 ebenfalls beim Weinhändler Ramann in Erfurt französische und Würzburger Weine sowie zwei Flaschen Wertheimer. Als Jahrgang gibt die Edition der Wieland-Briefe „55r“ an, also Wein aus dem Jahr 1755. Ob das so stimmen kann, sei einmal dahingestellt. Die Weinhändler schickten jedenfalls damals Weine zur Probe herum, die Kunden konnten kosten und dann ordern. Auch Wieland blieb dem Wertheimer Wein treu. 1808 schrieb er an Ramann, aus den Proben finde er den Wertheimer „milder und angenehmer“. Und 1810 bezeichnete er den „Wertheimer 88er“ als „trefflichen Tischwein“, von dem er sich einen halben Eimer nach Weimar bestellte.
Druck: Fränkische Nachrichten 1.8.2011