Wer will schon gern in der Fremde sterben. Aber wenn es denn sein muss, hilft vielleicht der Gedanke, dass Landsleute dabei sind. So erging es einem Untertan der Grafschaft Wertheim, der im Jahr 1631 in Wien starb.
Viel wissen wir nicht über das Leben von Michael Staud. Sein Vater Hans war Haslocher und 1630 bereits tot. Vormünder verwalteten das nicht eben üppige Erbe. Michael hatte in Wertheim Bäcker gelernt und ging 1630 auf die übliche Gesellenreise, die Walz. Sie führte ihn nach Wien. Eine große und eine wichtige Stadt, denn dort residierten die Habsburger, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.
Michael Staud wohnte privat „Auf der Wiedn“, ein Viertel gerade außerhalb des heutigen Rings. Er erkrankte und musste längere Zeit gepflegt werden, bis er am 8. Mai starb. Am Tag darauf wurde er bestattet.
Diese Beerdigung war nun keineswegs eine einsame Angelegenheit, wie man es bei einem Tod in der Fremde erwarten würde. Im Gegenteil: 60 Mann gaben dem Wertheimer Bäcker in Wien das letzte Geleit. Wer waren sie? Hatte ein Familienzweig der Haslocher Stauds sich in Wien unerwartet prächtig entwickelt?
Nein. Aber es war schon eine Art Familie, die da mit zum Grab ging, aber eine Familie anderer Art: es waren alles Bäcker. Die Wiener Bäckerzunft hatte sich ihres Kollegen aus Wertheim angenommen. Die Zünfte waren damals ein zentrales Element im Leben ihrer Mitglieder, durchaus mit familiären Aspekten. Die Zünfte waren verpflichtet, fremde Kollegen auf Wanderschaft zu unterstützen. Man kann also annehmen, dass Michael Staud sich in Wien bei der Bäckerzunft gemeldet hat, als er dort ankam.
Und als er dann krank und damit zum Kostenfaktor wurde, kümmerten sich die Zunftkollegen weiter um ihn. Sie bildeten dafür sogar eine Art Ausschuss mit vier Mitgliedern: Morhardt, Hefner, Wiest und Schösser. Alles Namen, die uns irgendwie bekannt vorkommen, denn sie hatten eins gemeinsam: Sie kamen aus dem Taubertal. Wiest und Hefner aus Tauberbischofsheim, Schösser aus Böttigheim und Michael Morhardt sogar aus Wertheim selbst. Alle vier waren als Bäcker nach Wien gegangen und zeigen eine doch erstaunliche Mobilität. (Der eine oder andere wird auch zurückgekommen sein und mit Rezepten von Wiener Süßspeisen das Leben im Taubertal bereichert haben.) Und sie zeigen einen regionalen Zusammenhalt, mit dem man gar nicht rechnen würde: die Tauberbischofsheimer gehörten als Kurmainzer eigentlich zu einem anderen Territorium. Aber in Wien wurden alle Taubertäler zu „Landsleuten“, wie es auch in der Quelle heißt. Lieblichkeit verbindet, könnte man sagen.
Als solche schrieben sie nach dem Tod Stauds im Auftrag ihrer Zunft nach Wertheim. Denn so schön es einerseits war, dass Staud in seinem Sarg nicht alleine gewesen war, sondern 60 Bäckerkollegen drum herum gestanden hatten, so waren dabei andererseits doch auch Kosten entstanden, zum Beispiel allein elf Gulden für den Leichenschmaus nach der Beerdigung (das Essen konnten die Bäcker dabei gewiss kostengünstig abwickeln, aber Getrunken musste schließlich auch werden). Bei diesen Kosten wäre es natürlich schön gewesen, hätte jemand anderer sie übernommen, zum Beispiel Stauds Verwandtschaft in Wertheim. Hier liegt genau der Grund, weshalb die vier Landsleute Briefe und Bescheinigungen aus Wien nach Wertheim schickten. Darin geben sie an, Staud schon während seiner langen Krankheit regelmäßig besucht und dann bei der Beerdigung große Mühe gehabt zu haben. Dafür baten sie nun Stauds Wertheimer Freunde und Verwandtschaft um eine „Verehrung“, sprich um Geld. Eventuellen Spendern wurde versichert, man werde in Wien die „Verehrung“ im Gedenken an Staud gemeinsam verzehren.
Der Ausgang der Sache ist nicht bekannt. Möglich, dass die Wertheimer in einem Anfall von Dankbarkeit und Großzügigkeit eine Summe lockermachten, die die Wiener Bäcker zu einer großen Sause nutzen konnten. Vielleicht schickten sie den Bäckern auch Erzeugnisse der Wertheimer Metzger, die wegen ihrer Haltbarkeit für die lange Reise geeignet waren. Schließlich scheint auch möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass man in Wertheim das Engagement der Wiener zwar lobte, sonst aber weiter nichts tat.
Immerhin liegt bis heute ein Totenschein aus Wien vor. Dort bescheinigte der „Totenbeschreiber auf dem Heiltumsstuhl“, Michael Staud aus „Hasel“, etwa 22 Jahre alt, sei an der Dörr- und Lungensucht gestorben. So etwas hat nicht jeder Grafschaftsuntertan.
Druck: Fränkische Nachrichten 2.2.2017