Am oberen Ende des Wertheimer Marktplatzes, beim Engelsbrunnen, steht das Haus Marktplatz 21. Heute sitzt hier eine juristische Kanzlei. Knapp 400 Jahre ist es nun her, dass es am Marktplatz 21 zu einem Streit kam, der schließlich sogar Juristen in Nürnberg beschäftigte.
1617 hatte Veit Glock das Haus gekauft. Glock war Kaufmann und zumindest einigermaßen wohlhabend, die Lage des Hauses damals wie heute ausgezeichnet. Nach dem Kauf baute Glock um. Dafür errichteten die Tüncher außen am Haus ein Gerüst – und damit ging der Ärger los. Nebenan wohnte nämlich Alexander Müller, auch er ein Händler. Müller scheinen die Baumaßnahmen mächtig genervt zu haben. Als er eines Tages gar feststellen musste, dass die Tüncher beim Gerüstbau Löcher in die Außenmauer seiner Schlafkammer geschlagen hatten, platzte ihm der Kragen. Müller beschwerte sich bei Frau Glock, diese beschwerte sich bei ihrem Mann, Veit Glock lief wutentbrannt aus dem Haus, wo er auf Frau Müller traf. Der wütende Glock drohte der Nachbarin Schläge an, während er sie als Reiterhure, Hexe und Zauberin beschimpfte.
Die Worte hätten damals jedes für sich auf einer Rangliste der Schmähungen ganz weit vorne gelegen. Zusammengenommen war die Wirkung enorm. Mehr Beleidigung ging kaum. Müller erhob Klage gegen seinen Nachbarn wegen Diffamierung und Verletzung seiner Ehre. Dabei zeigte sich, dass es um das Verhältnis der Nachbarn schon länger nicht mehr gut gestanden hatte. Glock hatte ihn nämlich, so Müller, bereits vor der Sache mit dem Loch im Schlafgemach als Schelm, Dieb und Bösewicht bezeichnet, dem er Hagel und Donnerschlag auf den Hals wünschte. Der Kessel des nachbarschaftlichen Ärgers hatte bei Müller bereits unter Dampf gestanden, und die Reiterhure brachte ihn zur Explosion.
Damit kamen nun die Wertheimer Advokaten ins Spiel. Man kann sich vorstellen, wie Veit Glock in seinem Haus Marktplatz 21 saß und mit seinem Anwalt die Verteidigung plante. Die Idee war einfach: nicht Glock, sondern Müller hatte angefangen. Der sollte sich nämlich, als die Ehepaare einst beim Büttner Matthis Hahn gezecht hatten, leichtfertiger Reden und schändlicher Übergriffe gegenüber Glocks Frau Ottilia schuldig gemacht haben. Die reagierte darauf mit einer Backpfeife. Die Löcher in der Wand stritt Glock gar nicht ab, hielt sie aber wegen des Gerüsts für unvermeidlich. Dagegen hätte Müller seine Frau mit schrecklichen Fluchen und Gotteslästerungen angefahren, sie gar als Hure und leichtfertige Dirne bezeichnet. Kurzum: Veit Glock und sein Anwalt drehten den Spieß um und forderten von Müller öffentlichen Widerruf. Auf die Klage folgte die Gegenklage.
In den folgenden Monaten wurden Zeugen gehört. Müller konnte seine Darstellung belegen, glaubte er jedenfalls. Bei Glock war’s genau andersherum. Weitere Schimpfworte tauchten auf. Müller hatte einmal den „verdorbenen Hudler“ gebraucht, Glock ihn als „beschissenen Dieb und Schelm“ bezeichnet. Die beiden Kaufleute schöpften tief aus dem damals verfügbaren Arsenal an Schimpfworten. Den Anwälten gelang es, den ganzen Ärger in anständige juristische Texte zu verwandeln, in denen die Kraft der Beleidigungen durch den Einsatz lateinischer Formulierungen gewissermaßen gemildert wurde. Eine von Müllers Prozessschriften umfasste nicht weniger als 132 Seiten.
Ein Urteil aus Wertheim hat sich in der Akte nicht erhalten. Aber 1623 war die Sache bei der Juristenfakultät der Nürnberger Hohen Schule gelandet. Diese verordnete beiden Parteien, nebst ihren Weibern, in Zukunft Frieden zu halten. Im Übrigen gab sie Alexander Müller weitgehend Recht: Glock wurde zu einem öffentlichen Widerruf verurteilt.
Wie es wohl weiterging mit den beiden verfeindeten Nachbarn und ihren Frauen? Was taten sie, wenn sie sich auf dem Marktplatz begegneten? Vielleicht haben sie einfach weggesehen. Weitere Klagen haben sich nicht erhalten. 1628 starb Ottilia Glock und 1629 ging Veit Glock nach Frankfurt und ließ den Wertheimer Ärger hinter sich. Am Haus Marktplatz 21 aber steht heute noch das Eingangsportal seines Hauses von 1617 mit seinem Hauszeichen: VG unter einer Glocke.
Druck: Fränkische Nachrichten 20.2.2010