Besucher auf der Burg und Maiblumen im Frauenzimmer
In diesen Tagen beginnt der Frühling und die Touristen strömen wieder auf die Burg. Nun sind Tourismus und Fremdenverkehr eher neue Erfindungen, aber auch früher hatten Auswärtige gute Gründe, die Wertheimer Burg zu besuchen. Denn dort gab es Unterstützung. Mildtätigkeit war bereits in der Antike eine Eigenschaft des guten Herrschers. Und das Zentrum der Herrschaft in Wertheim mit Wohnsitz der Grafen und Regierungskanzlei befand sich nun einmal oben auf der Burg. Also gab es dort auch Almosen und milde Gaben, ausgeteilt vom Burgvogt.
Davon wurden natürlich allerlei Reisende angezogen, die in Not geraten waren. Zum Beispiel durch einen Brandschaden. Am 2. Juni 1625 standen drei „Abgebrannte“ aus Augsburg vor dem Burgtor, sie bekamen 20 Kreuzer. Kurz nach ihnen erschien ein vertriebener Schulmeister aus dem Bistum Bamberg (ebenfalls 20 Kreuzer) und am Tag darauf zwei vertriebene Weiber aus der Pfalz (10 Kreuzer). „Abgebrannte“ waren in diesen Jahren des 30jährigen Krieges häufig. Allein in den Jahren 1623-1626 sprachen Brandopfer aus Italien, Frankreich, dem württembergischen Mömpelgard (heute Montbéliard), Hessen-Darmstadt, Konstanz und Sossenheim bei Frankfurt auf der Wertheimer Burg vor. Möglichkeiten, in Not zu geraten, gab es viele. Krankheiten aller Art waren ein Grund, sodass viele Lahme, Blinde und sonstige „Bresthafte“ den Weg auf die Burg antraten, um beim Burgvogt ein Almosen zu erhalten. Auch hohes Alter war ein Grund. Am 2. April 1625 stand ein 90jähriger Mann aus der Oberpfalz vor dem Burgtor, damals ein biblisches Alter. Im selben Monat folgte noch eine „arme Vertriebene“ Frau mit vier Kindern aus Mähren, im Mai kam ein „armer Schuljunge aus Regensburg“. Alle gaben einen guten Grund an, warum sie nicht arbeiten konnten und Unterstützung brauchten.
Unter den Armen befanden sich überraschend viele Adelige, die einen sozialen Absturz erlebt hatten. Sagten sie jedenfalls, und wie sollten die Angaben überprüft werden? 1626 erschien ein Adam von Hirschberg aus dem Stift Paderborn. Er erhielt ebenso 20 Kreuzer wie zwei Jahre zuvor ein Franz de Saruiere, Freiherr aus Lothringen. 20 Kreuzer waren eine Art Einheitstarif für die Mildtätigkeit. Mehrfach erschienen in diesen Jahren auch Adelige, die behaupteten, in türkischer Gefangenschaft gewesen zu sein. 1626 tauchte ein Wilhelm Lorus aus Amsterdam auf der Burg auf, der angab, zehn ganze Jahre in türkischer Gefangenschaft verbracht zu haben.
Manch einer von ihnen zeigte einen Ausweis vor oder sonst eine Bescheinigung, die seine Geschichte glaubhaft machen sollte. Der Burgvogt notierte das dann in seinen Unterlagen – so war er auf der sicheren Seite, wenn doch etwas nicht stimmen sollte. Derartige Papiere hatten meist auch abgedankte Soldaten dabei. Sie waren in großer Zahl im Lande unterwegs. So wie 1623 Soldaten aus der Armee des Grafen Ernst von Mansfeld, die 1618 bei der Eroberung der habsburgtreuen Stadt Pilsen dabei gewesen waren – eine der ersten kriegerischen Aktionen des 30jährigen Krieges. Danach waren sie in Nürnberg gewesen. 20 Kreuzer erhielt Abraham von Sonnenberg, der dem Kaiser in Ungarn gedient hatte. Am Ostertag wurden 45 Kreuzer an abgedankte württembergische Soldaten gegeben.
Neben einfachen Armen, verarmten Adeligen und früheren Soldaten waren häufig auch Pfarrer und Lehrer unterwegs, die aus konfessionellen Gründen von ihren Stellen vertrieben waren. Ihre Herkunftsangaben wiesen gerne nach Österreich – wer dort von Katholiken vertrieben worden war, der konnte um 1620 im protestantischen Wertheim auf Unterstützung zählen. Aber es scheint ohnehin normal gewesen zu sein, sich an der Burgpforte Unterstützung abzuholen. Gegeben wurde gern. Im Sommer 1625 erhielt ein „italienischer Pfaffe“, vermutlich ein Katholik, vor dem Burgtor die hohe Summe von vier Gulden. Ein „kranker Pfälzer“ dagegen, auf dem Weg zur Kur nach Wiesbaden, bekam nur 45 Kreuzer.
So war die Wertheimer Burg eine Anlaufstation für hilfesuchende Durchreisende aus vielen Teilen der damaligen Welt. Der Anblick der Burg wird sie schon aus der Ferne mit Hoffnung erfüllt haben. Dass der eine oder andere aus dem Einsammeln von Spenden einen Lebensstil machte, wer will’s beklagen. Es gab aber auch das Gegenteil: Leute, die Geschenke auf die Burg brachten.
Immer wieder traten Wertheimer Bürger den Weg auf die Burg an, um dort kleine Geschenke für die Grafen abzugeben. Sehr beliebt waren Lebensmittel: Im Juli 1625 brachte der Sohn von Bernhard Schuster Salat, Maulbeeren, Weißkraut und Johannisäpfel vorbei, die Tochter des Henning erschien mit Artischocken und der Sohn des Forstmeisters mit Trauben. Trauben waren ein beliebtes Geschenk für die Grafen. Noch beliebter waren Fische. Fischer Stefan Kress verehrte dem Grafen einen Karpfen aus dem Main, die Frau von Simon Wolz erschien mit einem Hecht, auch Barben wurden gebracht. Das größte Tier als kleine Aufmerksamkeit überbrachte die Tochter des Haidhofbauern: eine kleine Geis.
Meist schickten Leuten, die irgendeinen Posten bei den Grafen hatten, ihre Kinder mit Präsenten auf die Burg. Der Burgvogt sorgte im Gegenzug dafür, dass sie einige Kreuzer erhielten. Mancher tauchte recht häufig auf der Burg auf. Vor allem die Wertheimer Fischer, unter ihnen „Herrenfischer“ Georg Kopp, gaben derart viele Geschenke ab, dass man sich fragt, ob da nicht mehr als nur die Liebe zum Grafenhaus im Spiel war. Heute wäre dergleichen jedenfalls als Korruption verpönt.
Im Mai 1625 gab es übrigens einmal ein besonderes Geschenk für die Frau Gräfin: ein Korb voll Rosen. Die Magd der Frau von Collenberg brachte ihn hinauf. Diese Rosen waren nicht die einzigen Blumen auf der Burg. Im Frühling bezahlte der Burgvogt regelmäßig für „Maiblumen“, die ein „Frauenzimmer“ auf der Burg verschönern sollten. Schade nur, dass die „normalen“ Burgbesucher damals zum Frauenzimmer gewiss keinen Zutritt hatten, die Fremden nicht und die Wertheimer auch nicht.
Druck: Fränkische Nachrichten 20.4.2013