Graf Ludwig zu Löwenstein, der Wertheim von 1573 bis 1611 regierte, war ein vorsichtiger Mann. In seinem „Herrengemach“ auf der Burg hatte er einen Tisch mit abschließbaren Schubläden, eine Truhe mit zweifachem Doppelschloss und einen vergitterten Schrank. Seine Stube konnte er mit einem „starken gekrupften Riegel“ absperren und vor seiner Schlafkammer hing noch einmal ein Extra-Schloss. Eine Tür im Keller der Burg ließ er gar mit Blei ausgießen. So vereitelte allein schon ihr schieres Gewicht jeden Versuch, sie aus den Angeln zu heben. Ob sich hinter dieser Kellertür der Wertheimer Goldschatz befand, Graf Ludwig dort geheime Briefe oder seine besten Weine lagerte, ist leider nicht bekannt. Klar ist aber: Der Raum mit der Bleitür war gesichert wie ein Tresor. Auf der Burg herrschten gehobene Sicherheitsstandards.

Die Arbeiten an der Bleitür, an Riegeln und Schlössern wurden in den Jahren um 1600 vom Wertheimer Schlosser Jacob Ötzel ausgeführt. Ötzel war ein vielbeschäftigter Mann auf der Burg. Ständig reparierte er Beschläge und Aufhängung von Türen, reinigte und erneuerte Schlösser, erneuerte Fensterläden. Denn auch das Aussperren des Lichts gehörte zu den Aufgaben des Schlossers: Vor den Fenstern im Gang des Grafen auf der Burg hingen „Flügelladen“, die der Schlosser in Gang hielt. 1599 bekam die Kanzlei auf der Burg zwei neue Fenster und jedes wurde von Ötzel mit vier Flügeln ausgestattet. Immer wieder schraubte er auch an einem Reisebett herum, das im Gemach des Grafen Friedrich stand und offenbar reparaturanfällig war. In die „Schnecke“, den Treppenturm des älteren Wohngebäudes auf der Burg, setzte Ötzel neue Türen mit besonders starken „Banden“ ein. Auch die Schrauben waren extrastark. Dafür, dass nur Berechtigte durch diese Tür gehen konnten, sorgten Doppelschlösser. Sie konnten mit einem Schlüssel geöffnet werden, der wie der „Haupt-Schlüssel“ funktionierte. Dieser Hauptschlüssel kam auch zum Einsatz, als 1599 eine Tür in die Kemenate Richtung Schlossberg eingesetzt wurde – es existierte also damals ein Zentralschlüssel für Schloss und Kemenate. Wie viele Exemplare davon vorhanden waren und wer über einen verfügte, ist leider ebenfalls unbekannt. Graf Ludwig jedenfalls wird schon einen gehabt haben.

Als Metallbearbeiter gehörten die Schlosser ursprünglich zu den Schmieden, später bildeten sie eigene Zünfte. In Wertheim ist eine Zunftordnung der Schlosser aus dem Jahr 1567 überliefert. Sie enthält all die Standardformulierungen der damaligen Zunftbriefe: Wer ins Schlosserhandwerk aufgenommen werden will, muss eheliche Geburt und einen Lehrbrief nachweisen und so weiter. In der Zunftordnung der Würzburger Schlosser von 1572 ist bei den Meisterstücken festgehalten, was ein Schlosser alles können musste. Angehende Meister hatten ein Türschloss, ein Truhenschloss, ein Malschloss (= Vorhängeschloss) und ein Kastenschloss anzufertigen. In anderen Städten traten die Schlosser auch als Erfinder von allerlei mechanischen Wunderdingen und mit Kunststücken hervor, die in der Renaissance so beliebt waren (wer einmal das Grüne Gewölbe in Dresden besucht hat, weiß was ich meine). Nürnberg war für seine kunstsinnigen und erfindungsreichen Schlosser berühmt. Der Wertheimer Schlosser Ötzel rechnete einmal einen runden Ring für Graf Löwenstein ab, „mit einem Federlein oben mit einem Gewerb“ – vielleicht war dies auch irgendeine Mechanik. Sonst weiß man aber nichts von besonderen Erfindungen der Wertheimer Schlosser, die wohl lieber bei ihren Schlössern blieben.

Die französische Kommode

Leider konnten auch die Schlösser der Schlosser nicht verhindern, dass das Schloss (also die Burg) im 30jährigen Krieg durch feindlichen Beschuss zur Ruine wurde. Trotzdem blieben Schlösser und Schlüssel wichtig für die Sicherheit in Wertheim. 1772 wurde die Regierung hellhörig, als der Schlosser Friedrich mitteilte, Schuhmacher Wankel habe bei ihm einen Schlüssel für eine französische Kommode nachmachen lassen wollen. Schlösser werden ja sinnlos, wenn der Falsche einen Schlüssel hat. Woher aber sollte Schuhmacher Wankel eine französische Kommode haben? Er wurde vorgeladen. Der Schuhmacher gab an, nicht er, sondern sein neunjähriger Sohn habe den Schlüssel und den Auftrag zum Nachmachen bekommen, und zwar vom Sohn des Bürgermeisters Kappes. Daraufhin wurde der Sohn des Bürgermeisters verhört. Dass die französische Kommode im Haus des Bürgermeisters stand, machte die Sache schon mal wesentlich verständlicher. Und der Sohn des Bürgermeisters konnte alles erklären. Ihm war ein Unglück passiert: Er hatte einen von zwei Schlüsseln zur Kommode seiner Mutter (in der sie ihre Halsbinden aufbewahrte) verloren, und aus Furcht vor Schlägen des Vaters war er auf den Gedanken gekommen, den Schlüssel heimlich nachmachen zu lassen. Ein an sich guter Plan, der aber wegen der vorbildlichen Wachsamkeit des Schlossers Friedrich nicht aufging. Auch die Schläge holte der Junge sich schließlich trotzdem ab, nachdem sein Vater, der Bürgermeister Kappes, von der Sache erfahren hatte. Sieht man von den Schlägen ab, war im Grunde nicht viel passiert.

Obwohl nun, sieht man von diesen Schlägen ab, im Grunde nicht viel passiert war, beschloss die Regierung den Vorgang mit einem Dekret, dass der Sicherheit in Wertheim dienen sollte. Es erging Befehl an die Schlosserzunft, beim Nachmachen von Schlüsseln in Zukunft immer vorher mit dem Eigentümer des Schlosses zu sprechen. Strafe bei Nichtbefolgen: 50 Reichstaler. Sicherheit wurde eben damals in Wertheim groß geschrieben.

Druck: Fränkische Nachrichten 15.4.14