Wertheim als Stadt des Faschings: Wann hat das eigentlich angefangen? Es gibt jetzt einen frühen Beleg für karnevalistisches Treiben auf der Wertheimer Burg. Es war im Jahr 1604, als Graf Wolfgang Ernst einen guten Bekannten einlud, in Wertheim, „die Fastnacht in Fröligkeit zu celebriren“ mit Maskeraden und anderer Kurzweil. Damit auch alles gut klappe, wolle man „Danzen und Aufzüge“ vorher gut einüben.
Wolfgang Ernst war einer der vier damaligen Löwensteiner Prinzen. Aus seinem Brief geht klar hervor, dass auch sein Vater, der regierende Graf Ludwig, plante, an dem Faschingsvergnügen teilzunehmen, ebenso wie Graf Albrecht zu Hanau, den man in Wertheim bereits erwartete. Dazu lud Wolfgang Ernst nun noch Albrecht Christoph Voit von Rieneck ein, mit dem er kurz zuvor in Frankreich gewesen war. Auf dieser Reise muss es recht unterhaltsam zugegangen sein. Wolf Ernst schrieb dem Rienecker jedenfalls in Anspielung an gemeinsame Erlebnisse, dieser sei für derartige Vergnügungen „sonderlich qualificirt“. Am 14. Februar entwarf der Prinz den Brief und setzte hinzu „soll noch heut ein Bott darzu bestellt werden“. Bis Aschermittwoch waren noch acht Tage Zeit für Maskeraden, Tänze und Aufzüge in Wertheim.
Von einem besonderen kulturellen Highlight in der Stadt hören wir in der Osterzeit dreizehn Jahre später. Da wurde nämlich neben der Stiftskirche auf dem früheren Kirchhof eine Bühne aufgebaut. Es gab auch ein Bühnenbild, gemalt von Johannes Oberlein aus Kleinheubach. Ein Christus war zu sehen und der Schein des Heiligen Geistes (vergoldet), Flügel und Schlangen gehörten zum Bild und eine vergoldete Weltkugel. Ein Drechsler hatte einen Reichsapfel für die Aufführung hergestellt und eine Feuerkugel, ein Schreiner hatte Engel und Teufel und ein Grab beigetragen, „mit Tuch neben umher und oben zu uberziehen und ufzunageln“. Die Flügel der Engel dürften aus Pappe gewesen sein, denn der Buchbinder rechnete „8 Doppelpappen zu den Flügeln“ ab. Schneider Hörner machte für die Christusfigur ein ganzes Kleid „von Goldschein“. Windlichter und Wachskerzen waren im Einsatz. Und es gab sogar ein Feuerwerk mit Raketen, mit Schwefel und Salpeter.
Wozu das alles? Es gab ein Theaterstück, open-air neben der Stiftskirche. Gegeben wurde die „Komödie von der Auferstehung Christi“. Wobei „Komödie“ hier nichts Lustiges bedeutet, sondern nach dem französischen Wortgebrauch für „Schauspiel“ stehen dürfte. Dem Titel nach dürfte es sich um ein Passionsspiel gehandelt haben. Auch das Datum passt: Das Ganze fand in der Woche nach Ostern statt.
Mit Auf- und Abbau dauerte die Aktion vier Tage. Hunderte Bretter und Nägel wurden verarbeitet. Musik gehörte auch dazu: Kosten für ein Klavier, ein Orgelpositiv und zwei blecherne Instrumente fallen an. Dagegen fehlen Kosten für Schauspieler, und das kann nur eins bedeuten: Die Wertheimer spielten ihr Passionsspiel selbst. Tatsächlich lässt sich ein Teilnehmer benennen. Der Schulrektor Drach, der sich „ein glatt Hos und Wams von Leinentuch“ für die Komödie machen ließ. Über den Rektor wurden auch noch andere Kosten abgerechnet, zum Beispiel ein „Schäferstecken, so zu der Comedi gebraucht“, und die Baukosten für die Bühne. Vielleicht kann man die Vermutung wagen, dass bei diesem Passionsspiel seine Schüler, die Gymnasiasten aus der Kilianskapelle, im Einsatz waren. Profitieren von der Veranstaltung konnte übrigens auch der Kronenwirt. Er lieferte drei Maß Wein, die „zur Comedie geholt“ wurden (dabei wurde übrigens extra festgehalten, dass es sich um „neuen roten“ handelte, Rotwein also). Passionsspiele mit Rotwein also, vielleicht eine Wertheimer Spezialität. Bezahlt wurden alle diese Kosten übrigens von der Hausvogtei, also sozusagen der Kasse der Grafen für den persönlichen Verbrauch.
Alles in allem wurde damals erheblicher Aufwand für diese Aufführung zwischen Stiftskirche und Kilianskapelle getrieben. Und historisch bemerkenswert sind diese „Passionsspiele“ in einem damals rein evangelischen Territorium allemal, auch wenn sie keine Tradition begründen konnten. Mitbekommen hat das damals jeder in der Stadt, und zugesehen vermutlich auch. Und wenn die These stimmt, dass die Aufführung mit Laien aus der Stadt bestritten wurde, kann man sogar von aktivem Theaterleben jenseits der immer mal wieder durchkommenden wandernden Schauspielkompanien sprechen.
Und als alles vorbei war, musste der Kirchhof aufgeräumt werden. Diese Arbeit übernahm eine Frau namens Apollonia. In ihrem Beleg für den Hausvogt, der sie bezahlte, bestätigte Appolonia, dass sie am Samstag nach der Kömodie „den Kirchhof ... gekeret und aufgeraumt und den Kummer naus getragen“ habe. Appolonia bekam dafür drei Batzen. Gar nicht wenig im Vergleich zu den Zimmerleuten, die die Bühne für fünf Batzen pro Person und Tag aufgebaut hatten. Oder im Vergleich zu den acht Batzen, die der Instrumentenstimmer bekommen hatte. Dagegen schmelzen die drei Batzen arg zusammen, wenn man sie mit dem Rotweinpreis des Kronenwirts vergleicht: Fast zwei Batzen hatte er für die Maß genommen. Aber vielleicht war es für das Passionsspiel auch ein besonders guter Roter gewesen.
Druck: Fränkische Nachrichten 23.2.2012