Seit 1622 lebte der Jude Kusel in Wertheim. Er kam vermutlich aus Mainstockheim bei Kitzingen. In Wertheim versprach er dem Grafen Wolfgang Ernst die Lieferung von Dukaten und Reichstalern und wickelte Geschäfte für den Grafen Johann Dietrich ab. Kusel war Kaufmann. Er handelte mit Butter und Wein, mit Pferden und französischem Tuch, alles in großem Stil. Von Frankfurt mit seinen Messen ausgehend gingen Kusels Geschäfte bis Frankreich und über den Odenwald, Wertheim und Kitzingen bis Böhmen, wo er Verwandtschaft hatte. Vielleicht hatte er von Mainstockheim aus Wertheim wegen der für seine Geschäfte günstigen Lage als Wohnsitz gewählt.
Als Geschäftsmann war Kusel wenig zimperlich. In seinen ersten fünf Wertheimer Jahren war er in sieben Prozesse verwickelt, meist als Beklagter. Auch mit den eingesessenen Wertheimer Juden hatte Kusel Ärger. Bereits 1623 beklagt er sich über Schmähungen von anderen Juden gegen sich und seine Frau. Es würde behauptet, sie seien „mit der abscheulichen Seuch der Franzosen behaftet“, hätten also die Syphilis. Allerdings gab es auch andersherum Klagen von anderen Juden über Beleidigungen durch Kusel. Insbesondere mit dem Juden Löw, genannt der Reiche, der Kusel gegenüber in der Judengasse wohnte, entwickelte sich eine Feindschaft. Die beiden scheinen ihren nachbarlichen Ärger über Jahre gepflegt zu haben. Die Wertheimer Kanzlei sprach einmal von Hass und Neid zwischen den beiden und verpflichtete alle Beteiligten zur Ruhe.
1627 kam es dann aber zu einem Ereignis, nach dem es mit der Ruhe endgültig vorbei war. Kusel lernte auf einer Frankfurter Messe Salomon aus Reistenhausen kennen und nahm kurz darauf dessen Tochter Friedlein als Magd zu sich nach Wertheim. Dann geschah, was damals häufig geschah, in christlichen wie jüdischen Familien: Die Magd wurde schwanger. Vater war ihr Dienstherr Kusel.
So wurde jedenfalls behauptet. Interessant noch der Umstand, dass Kusels Frau zur Zeit der Schwängerung auf Kur in Wiesbaden gewesen sein soll. Um 1600 gingen auch die Wertheimer Grafen und Gräfinnen gerne nach Wiesbaden zur Kur.
Vater Salomon erhob in Wertheim Klage wegen Schwängerung seiner Tochter. Dabei ging es neben der verlorenen Ehre immer um Zahlungen für den Unterhalt von Mutter und Kind. Hier kam aber noch etwas hinzu: Kusel sollte die Friedlein durch die Einnahme von Mäusegift zur Abtreibung gezwungen haben. Die Abtreibung misslang und das Kind überlebte, aber war dies nicht sogar ein Mordversuch an Mutter und Kind? Ein sehr ernster Vorwurf, der übrigens nie bewiesen wurde.
Die Sache erregte damals in Wertheim großes Aufsehen. In der ganzen Stadt Wertheim, heißt es in den Akten, wurden die Vorwürfe gegen Kusel erhoben.
Friedlein verließ Wertheim. Sie ging nach Faulbach auf Kurmainzer Territorium zu einem anderen Juden, wo sie der Wertheimer Kusel abholte, bevor die Untersuchungen beginnen konnten. Er brachte die Magd nach Biberach, dann zu seiner Schwester nach Mainstockheim und weiter nach Böhmen. Irgendwo auf diesem Weg wurde ein Mädchen geboren, dessen Namen wir nicht kennen.
Inzwischen nahm die Wertheimer Kanzlei die Ermittlungen auf. Kusel wurde inhaftiert, kam aber bald wieder frei. Bei seiner Freilassung versicherte er alle Beteiligten seiner Unschuld. Dieser Linie blieb er treu: Kusel selbst bezeichnete sich als unschuldig. Und er konnte seine Aussage mit juristischen Dokumenten untermauern. Da war zum einen eine Einlassung der Friedlein selbst, die Kusels Vetter Liebmann bei Münsterschwarzach erwischt hatte. Der Zöllner der Hallburg bei Volkach protokollierte die Aussage, die Kusel entlastete. Und auch ihr Vater Salomon gab sowohl vor dem Oberrabbiner Nathan in Eibelstadt als auch vor dem Frankfurter Judengericht unter Eid zu Protokoll, dass er Kusel zu Unrecht beschuldigt habe. Juristisch gesehen drei starke Dokumente, gegen die schwer anzukommen war. Wie sie zustande gekommen waren, wissen wir nicht.
Wie damals üblich mahlten die Mühlen der Justiz sehr langsam. Friedlein hatte ihr Kind (ein Mädchen) 1627 zur Welt gebracht, aber erst im Frühjahr 1629 näherte man sich in der Wertheimer Kanzlei einem Urteil. Und dabei gab es Schwierigkeiten, weil die Wertheimer Grafen sich nicht einig waren. Zwei der vier gemeinsam regierenden Grafen wollten Kusel freisprechen, zwei hielten ihn für schuldig. Im Juni 1629 erging dann ein Urteil gegen Kusel nur im Namen der Grafen Wolf Ernst und Ludwig: Schuldig. Strafe 1000 Gulden. Zur Begründung heißt es, Kusel habe die Magd gegen seine ehelichen Pflichten geschwängert, den geschlechtlichen Verkehr geleugnet, die Obrigkeit vielfach getäuscht, ein falsches Notariatsinstrument anfertigen lassen, die Magd zur Einnahme von Gift und zur Leistung eines falschen Eides gezwungen. Die Strafe ergeht nach der peinlichen Halsgerichtsordnung des Reichs. Die Grafen Ludwig und Wolfgang Ernst merken noch an, sie hätten das Urteil alleine gesprochen, weil ihre Brüder Friedrich Ludwig und Johann Dietrich sich durch die falschen Erzählungen des Kusel hätten täuschen lassen.
Der Fall des Kusel schlug in Wertheim hohe Wellen. Es tauchte sogar ein 69 Strophen à vier Verse umfassendes Lästerlied auf ihn auf, ein so genanntes Pasquill. Es begann mit den Worten: „Ein Hu Hasehuel Es ist kein solcher Schelm under / Israel als Kusel. Der Ehrendieb ist er genannt / zue Kitzingen ist er auch wohl bekannt. / Er hat lassen münzen da viel neues Geld / damit hat er betrogen die halb Welt“. Literarisch war das nicht unbedingt hohes Niveau, aber allein der Umfang war doch beachtlich. Wer immer das Lied verfasst hatte, trug einen beträchtlichen Ärger über Kusel mit sich herum. Vielleicht hatte sein alter nachbarlicher Feind Löw die Hände im Spiel. Das Lied wurde verboten. Als es im Haus des Löw trotzdem gesungen wurde, verhaftete man die Sänger. Unter ihnen: Salomon und Seligman aus Reistenhausen. Beide kamen bald wieder frei. Aber man kann sich vorstellen, wie der Gesang aus dem Haus des Löw in der Judengasse damals die Gemüter erregte.
Wie war es unterdessen der Magd Friedlein ergangen? Im Sommer 1628 war sie in Mainstockheim bei Schwester und Schwager Kusels untergebracht Der traf sich nun mit ihrem Vater Salomon erst in Würzburg, dann in Eibelstadt, um die Angelegenheit durch Entschädigungszahlungen zu regeln. In Eibelstadt schlossen Kusel und Salomon einen Vertrag. Salomon bekam sofort 30 Gulden Abschlag, seine Tochter erhielt 50 Gulden und weitere 100 Gulden fest zugesagt für die nächste Herbstmesse. Vor einem Heidingsfelder Notar bezeugte die Magd dann noch einmal Kusels Unschuld. Vater sei ein Abraham aus Böhmen „der sie offt beschlaffen“ und ihr „versprochen, sie nimmer zu verlassen“. Erst die Zahlungen, dann die entlastende Aussage: Diese Reihenfolge spricht für sich, was Kusels Vaterschaft betrifft.
Im September 1629 wurde erstmals auch Friedlein selbst auf der Wertheimer Burg zu den Vorgängen verhört. „Sie sei von Kusel geschwängert worden, sei im Sommer die Schwängerung bei der Nacht in des Kusels Kammer geschehen, sein Weib sei in Wiesbaden gewesen.“ Als sie schon im Bett liegt, ruft Kusel sie wegen eines Trunks herunter. Sie bringt das Getränk, er umfasst sie, wirft sie aufs Bett. Ihre Bitten, sie in Frieden zu lassen, haben keinen Erfolg. Das Ganze wiederholt sich vier oder fünf Mal, auch in ihrem Bett. Friedlein schwört, niemals eine Abtreibung versucht zu haben. Auch der Kusel habe gesagt, wenn sie schwanger werde, solle sie dem Kind nichts tun im Mutterleib.
Kusel ließ sich die Verurteilung durch die Wertheimer Kanzlei übrigens nicht gefallen, sondern appellierte ohne zu zögern ans Reichskammergericht in Wetzlar. In Wertheim hatte er auch noch einmal einen großen Auftritt in dieser Angelegenheit. Im Juli des Jahres 1630 beschuldigte er Dr. Bünting auf der Kanzlei im Schloss in Anwesenheit des Grafen Wolfgang Ernst der Bestechlichkeit. Er habe ihm gegen Geld in der Schwängerungssache helfen wollen. Bünting reagierte mit einer Diffamierungsklage. Das Reichskammergericht musste kein Urteil mehr fällen. Kusel starb im Frühjahr 1632.
Druck: Fränkische Nachrichten 13.4.2012