Zu den Wertheimer Zünften mit den ältesten Nachweisen gehören die Schuhmacher. Bereits 1448 bestätigte Graf Georg ihre Ordnung. In der Zunft waren zuvor Streit und Hader ausgebrochen und niemand wollte mehr Leiter der Zunft oder „Kerzenmeister“ sein. Die Bezeichnung „Kerzenmeister“ erinnert daran, dass die Zünfte im Mittelalter auch Vereinigungen waren, die sich ums Totengedenken kümmerten. Die Zunftoberen mussten sich um die Kerzen kümmern, die zum Heil der Seelen der Zunftmitglieder in den Kirchen und Kapellen brannten, und hießen deshalb „Kerzenmeister“. Die Zünfte nahmen auch regelrechte Aufträge zum Totengedenken an. Als 1503 der Wertheimer Bürger Contz Rot starb, vermachte er in seinem Testament auch den Schneidern und den Schuhmachern gewisse Beträge, von denen sie ihm einmal im Jahr eine Totenmesse lesen lassen sollten.
150 Jahre später hatte sich der Schwerpunkt des Wirkens der Zünfte dann auf die Regelung des Handwerks verlagert. Im Zunftbrief der Schuhmacher von 1592 wurde festgelegt, was angehende Meister als Meisterstücke anzufertigen hatten: ein Paar Reitstiefel (fünf Spannen lang mit Laschen), ein Paar Bauernstiefel (bis an die Knie), ein Paar Bundschuhe, ein Paar aufgeschnittene Schuhe und ein Paar aufgeschnittene Frauenschuhe, alle aus Kuhhaut gemacht. Außerdem musste, wer Meister werden wollte, vier Gulden an die Zunft zahlen und einen halben Gulden zum Vertrinken. Zunftleben, Geselligkeit und Trinken gehörten immer zusammen.
Konkurrenz ...
Ein Aspekt der Regelungen der Zünfte bestand immer darin, Konkurrenz auszuschließen. Ob das erfolgreich war, ist schwer zu sagen. Die Realität sah jedenfalls anders aus, als in den Ordnungen vorgesehen. So beschwerten sich 1766 die Schuhmacher (deren Zunft damals 28 Mitglieder hatte) bitter über auswärtige Schuhmacher auf den Wertheimer Jahrmärkten und ihre billigen Angebote. Wie waren solche Preise möglich? Ganz einfach, meinten die Wertheimer Schuhmacher. Die Auswärtigen waren gar keine Schuhmacher. Es waren Bauern, die nur nebenbei Schuhe machten und verkauften, deren Qualität dann auch entsprechend niedrig war. Die Wertheimer Kunden sahen das mit der Qualität aber offenbar nicht so eng und freuten sich über den niedrigen Preis. Die Schuhmacherzunft dagegen forderte, auswärtigen Schuhverkäufern den Wertheimer Markt zu verbieten.
Die Wertheimer Regierung war zunächst geneigt, diesem Ansinnen nachzugeben. Wobei die „Fremden“ damals aus der Nähe kamen: Der Spessart hinter Schollbrunn gehörte ebenso zum Territorium des Erzbischofs von Mainz wie Tauberbischofsheim und hinter Bettingen begann bereits das Territorium des Bischofs von Würzburg. Dann aber ging ein Schreiben der Wertheimer Krämer, Schreiner, Gerber, Sattler, Seckler, Nadler und Nagelschmiede ein, die vom Wunsch der Schuhmacher Wind bekommen hatten. Sie waren dagegen. Ihre Begründung: gerade die auswärtigen Schuhmacher würden viele „Landleute“ in die Stadt ziehen, die dann auch noch weitere Dinge in Wertheim einkauften. Tatsächlich schlug die Regierung den Wunsch der Schuhmacher schließlich ab mit dem Hinweis, sie müssten eben versuchen, ihrerseits billiger zu werden.
... und Lebenswandel
Neben ihrem Handwerk versuchten die Zünfte in der frühen Neuzeit auch, den Lebenswandel ihrer Mitglieder zu regulieren. Ehrbares Verhalten war angesagt, wollte man in einer Zunft aufgenommen werden.Die „Ehrbarkeit“ im Sinne von Sittsamkeit und Anstand kollidierte bisweilen mit einem anderen bereits erwähnten Zunftbrauch: dem Trinken. Häufig kam es gerade bei den Zünften zu großen Streitereien und Prügeleien. Ein Beispiel dafür, dass auch die Wertheimer Schuhmacher sich das Leben gerne gegenseitig schwer machten, stammt aus dem Jahr 1734. Damals hatten die Schuster sich auf ihrer Zunftstube versammelt und prüften die Kasse der Zunft. Fatales Ergebnis: ein GuIden fehlte. Nun lief ein archaisches Verfahren ab, um den Schuldigen zu ermitteln. Die Zunftgenossen mussten schwören, dass wer den fehlenden Gulden habe, des Teufels sei und verdammt sein möge. Als das Schwören an den Meister Johann Wilhelm Wolz kam, weigerte der sich. Den anderen war damit klar: Wolz hatte den Gulden gestohlen. Man zog ihn bis aufs Hemd aus, durchsuchte ihn, warf ihn zu Boden. Niklas Zwingel schlägt ihn mit einem spanischen Rohr. Stuhlbeine werden geschwungen und Wolz von seinen Zunftgenossen jämmerlich zugerichtet. Acht Tage kann er nicht arbeiten und muss viel Geld für Apotheker und Ärzte ausgeben. Das will er zurück, und klagt deswegen später gegen einige seiner Zunftgenossen.
Die schildern die Sache übrigens ganz anders. Wolz sei bei der „Versammlung des ehrbaren Handwerks“ dermaßen bezecht gewesen, dass er den Schwur falsch gesprochen habe: Der Teufel solle ihn holen, wenn er den Gulden nicht habe. Als man dies nicht haben gelten lassen, habe er sich komplett entkleidet, Strümpfe und Hosen vor den Zunftgenossen auf den Tisch geworfen und nur im Hemd, aber mit Hut und Perücke vor ihnen gestanden. Die Kollegen versuchten ihn irgendwie zu bremsen, worüber er dann in Wut geraten sei. Ursache der Schlägerei war in dieser Sichtweise also allein die „Dollheit“ des Wolz. Man kann dieser Schilderung die Feststellung entnehmen, dass die Wertheimer Schuster bei ihren Treffen zwar bisweilen auf Strümpfe und Hosen verzichteten, niemals aber auf Perücke und Hut.
Druck: Fränkische Nachrichten 25.10.2013