In der letzten Folge der „Bronnbacher Archivalien“ hatten wir gesehen, wie 1520 (also drei Jahre nach der Verbreitung von Luthers Thesen) Pfarrer Johannes Götz aus Ingolstadt nach Wertheim gekommen und hier nicht recht glücklich geworden war. Was passierte in den folgenden Jahren?
Kurz gesagt: Luthers Ideen wurden auf Reichstagen debattiert, ohne dass die Fürsten sich auf eine einheitliche Haltung zu seinen Anliegen einigen konnten. Manche meinten, ein großes allgemeines Konzil solle die Fragen entscheiden. Auf einem Reichstag lernte der Wertheimer Graf Georg den Erfurter Augustinermönch und Wittenberger Professor auch persönlich kennen. Georg holte Anhänger Luthers als Prediger nach Wertheim. 1521 kam es zum endgültigen Bruch des katholischen Reichs mit Luther: Er wurde als Ketzer in die Acht erklärt.
Graf Georg focht das nicht an. Er fragte nun nicht mehr wie noch bei Johannes Götz beim Würzburger Weihbischof an, wen er als Pfarrer nach Wertheim holen sollte, sondern ließ sich Prediger direkt von Luther empfehlen. Seit 1523 war der evangelische Prediger Franz Kolb, ein ehemaliger Kartäusermönch, in der Stadt. Kolb schilderte 1524 in einem Brief an Luther, wie er die Messe zelebrierte: Wichtig ist ihm das „nackte Wort Christi“. Im Zentrum der Messe steht der Text der Evangelien, nicht die Traditionen und Zeremonien der Kirche, so Kolb.
Im Herbst des gleichen Jahres beschloss der Nürnberger Reichstag, die Mitglieder des Reichs sollten „die neue Lehre durch ihre Gelehrten prüfen lassen und das Resultat auf dem nächsten Reichstag vortragen lassen“ (Hermann Ehmer). Und tatsächlich berief Graf Georg im Herbst eine Art Wertheimer Synode mit den Geistlichen der Grafschaft inklusive Vertretern der Klöster Bronnbach, Grünau und Holzkirchen ein. Ihre Aufgabe: Stellung nehmen zu reformatorischen Artikeln.
Die Antworten fielen, gelinde gesagt, sehr zurückhaltend aus. Von Begeisterung für die neue Lehre keine Spur. Der Dekan der Stiftskirche meinte, die Kirche werde durch den Heiligen Geist regiert, ihre Ordnung sei durch die Heiligen errichtet und von Konzilien bestätigt. Daran wolle er sich weiterhin halten. Wobei auch der Dekan einräumte, es sei „billig, dass die Missbräuche abgetan“ würden. Auch der Vertreter des Klosters Holzkirchen wollte bei der „alten Ordnung“ bleiben. Das Kloster Bronnbach sprach sich ähnlich aus, während der Prior der Kartause Grünau sich den Entscheidungen eines Konzils anschließen wollte. Auch die Pfarrer der Landgemeinden äußerten sich abwartend bis ablehnend: Die Antwort sei ihm beschwerlich (Pfarrer Sachsenhausen), wie die Kirche es bisher gemacht habe, so sei es gut (Pfarrer Waldenhausen), die Kirche sei wohl geordnet, dabei solle es bleiben (Pfarrer Dertingen). Es gab auch hier Stimmen, die sich auf ein Konzil beriefen und auf ein Gutachten der Universität Paris. Typisch die Aussage des Pfarrers von Unteraltertheim: Er ist noch jung und hat gepredigt, was die Lehrer gelehrt haben. Wenn sich das als irrig herausstellen sollte, will er doch dabei bleiben bis zu besserer Unterweisung.
Es waren große Fragen, vor denen die Geistlichen der Grafschaft Wertheim hier standen. Mancher wird sich da überfordert gefühlt haben. Für die Praxis des Gottesdienstes dürften diese Aussagen bedeuten, dass 1524 die weit überwiegende Mehrzahl der Gottesdienste in der Grafschaft nach hergebrachtem katholischen Ritus gefeiert wurde.
Der Haslocher Pfarrer gab seine Einschätzung zu den Artikeln sogar schriftlich ab. Er wollte von der Kanzel nur das „pure lautere Evangelium“ verkünden lassen, also auch hier eine Stellungnahme zu Gunsten des „reinen Wortes Christi“. Dann folgen noch gelehrte Überlegungen zur Bedeutung der Sakramente mit Verweisen auf Bibelstellen. Der Pfarrer von Hasloch wollte dem Wertheimer Grafen wohl zeigen, dass er theologisch gesehen in der Debatte mit Reichstag und Universitäten mithalten konnte.
Graf Georg hat die Stellungnahme der Wertheimer Geistlichkeit übrigens souverän ignoriert. Die vermutlich von Franz Kolb formulierte, sozusagen offizielle Antwort auf die religiösen Fragen ist als „Wertheimer Ratschlag“ in die Geschichte eingegangen. Er hat eine entschieden lutherische Ausrichtung und ist später als „das erste evangelische Bekenntnis der Stadt Wertheim“ bezeichnet worden. Dabei sah die Realität (also die Gestaltung der Gottesdienste) in diesem Jahr – 1524 – in der Grafschaft Wertheim noch anders aus.