Oberhalb der Eichelsteige liegt der Haidhof. Er ist einer jener Höfe, die von allem Anfang an zur Grafschaft Wertheim gehörten. Eigentümer waren die Grafen von Wertheim, die vor allem an der angegliederten Schäferei viel Freude hatten. Der Verkauf der Hämmel brachte zeitweise ordentliche Einkünfte, der eigentliche Haidhof und seine Landwirtschaft wurden verpachtet. Wobei die Pächter im 18. Jahrhunderts eher Angestellte der Herrschaft waren , die gegen ein festes Einkommen an Geld und Naturalien den Hof zu bewirtschaften hatten. Vielleicht war diese Regelung eine Reaktion auf die Vorkommnisse um das Jahr 1690, die nun geschildert werden sollen. Damals war es zu massiven Unterschlagungen durch den Pächter gekommen, der mit Arbeitern, die sich an den herrschaftlichen Früchten bereicherten, gemeinsame Sache machte. Hinter alldem steht die Frage, wie die Zahlung der Naturalienabgaben an die Herrschaft damals kontrolliert und überhaupt durchgesetzt werden konnte. Was also war damals im Haidhof passiert?

1693 wurde der aus Höhefeld stammende Hufschmied Hans Hoffmann verhört. Hoffmann hatte nämlich im Vorjahr auf dem Haidhof herrschaftlichen Hafer gedroschen, also „die Körner der Feldfrüchte aus den Ähren [ge]schlagen“, wie es im Wörterbuch der Brüder Grimm heißt. Das Dreschen der Früchte auf dem Haidhof besorgten jeweils etwa zehn Männer aus den umliegenden Ortschaften, die dafür wie Tagelöhner bezahlt wurden. Manchen war das zu wenig. So wie am 15. Juli des Jahres 1692, als sich auf dem Weg zum Haidhof ein Trupp Männer zusammenfand. Zwei Mann aus Höhefeld, drei aus Eichel und einer aus Urphar wollen zum Dreschen. Vorher liegen sie nun auf der Höhe im Schatten und beratschlagen, was sie als Lohn verlangen sollen. Jörg Sühr, er stammt aus Höhefeld, sagt, er wolle auf einen Verdienst von 60 Gulden kommen. Die Eicheler staunen. Wie ist eine solche Summe möglich? Doch die Höhefelder beruhigen sie mit den Worten, sie würden ihnen schon zeigen, wie man soviel verdienen könne. Die Eicheler ahnen schon, dass Frucht „abgetragen“, also entwendet, werden sollte, und beraten, wie sie den Plan der Höhefelder der Herrschaft hinterbringen könnten.

So schilderten die Eicheler das Geschehen jedenfalls hinterher, als alles aufgeflogen war. Ob die Darstellung stimmt, steht auf einem anderen Blatt, könnte es sich doch auch um einen Versuch der Talbewohner aus Eichel handeln, die Betrügereien den Bewohnern des Höhenortes alleine in die Schuhe zu schieben.

Um Betrügereien ging es jedenfalls, sogar um Betrug in großem Stil. Und dass Höhefelder ihre Hände im Spiel hatten, ergab die Untersuchung schließlich eindeutig. Der Betrug funktionierte wie folgt: Auf dem Haidhof gab es Hafer der Herrschaft und Hafer des Pächters. Die Tagelöhner droschen den herrschaftlichen Hafer. Dabei zweigten sie fünf Simmer (etwa 150 Liter) ab und verkauften ihn dem Hofbauern. Den Hafer nahmen die Töchter des Bauern in Empfang, das Geld bezahlte ihr Vater. Dazu holte der Knecht des Bauern jeden Tag eine „Schwingwanne“ voll Hafer als Pferdefutter – das war eben so üblich, heißt es. Ebenso nahmen die Tagelöhner sich alle einen Simmer Erbsen vom großen Haufen vor dem Dreschen und vor der Teilung zwischen der Herrschaft und dem Hofbauern. Der herrschaftliche Fruchtspeicher, der „Renteiboden“, musste empfindliche Verluste hinnehmen. Interessant ist noch das Detail, dass die Drescher die für sich entwendete Frucht durch „ihre Leute“, also ihre Familien, die ihnen Essen zum Haidhof brachten, nach Hause tragen ließen.

Wie hätte der Schwund der Früchte verhindert werden können? Da Hofbauer und Tagelöhner gemeinsame Sache machten, hätte wohl nur eine weitere, von der Herrschaft gestellte Aufsicht geholfen. Aber sollte der Rentmeister den ganzen Tag auf dem Haidhof Wache schieben? Jörg Sühr jedenfalls machte damals den zögernden Eichelern das Verfahren mit den Worten schmackhaft: „Ihr dörft das nicht achten, es geht nicht anders in dem Hof zu. Es ist sein Lebtag so gewest.“ So wurde es also schon immer gemacht, und damit war aus der Dieberei so etwas wie ein gefühltes Recht geworden.

Die Strafen waren drakonisch. Hofbauer Hans Leonhard Simon sollte 650 Gulden zahlen, je 18 Höhefelder und 18 Niklashäuser zahlten Strafen. Für Simon war die Sache besonders misslich, weil sein Pachtvertrag auslief. So bat er denn im November 1693 in aller Untertänigkeit um Gnade, verwies auf Frau und Kinder und dass er den Hof schon 36 Jahre bewohnte, sein Schwiegervater hatte ihn davor 27 Jahre. Der Dreschbetrug, schreibt Simon, war ein einmaliger Vorgang, „außer diesem leider beschehenen Exzess“ hat er sich immer vorbildlich verhalten und streng auf das herrschaftliche Interesse geachtet. Durchgekommen ist der Pächter damit nicht. Graf Eucharius Casimir persönlich vermerkte auf dem Schreiben: „Dieses ist ... abgeschlagen, und muss uns ja dieser Böswicht nicht vor solche Narren ansehen, daß wenn wir die Ratte haben, ohne Bedenken wieder ins Hühnerhaus zu sperren, ja gar den Bock zum Gärtner zu machen.“

Ob sich der Pächter die Sache sehr zu Herzen nahm? Einen Monat später waren er und seine Frau jedenfalls verstorben und die Herrschaft versuchte, die Strafe bei den Erben einzutreiben. Die konnten oder wollten die Summe aber nicht bezahlen und baten um Nachlass: schwere Kriegszeiten, Hagelschlag, großes Unglück mit zehn Pferden, „schwere Krankheit des ganzen Hauses“, „tödliche Erliegung der beeden Eltern“, und schon bevor all dies passierte, war kein Geld da. So hatten auch die Unterschlagungen den Haidhofbauern nicht reich gemacht – jedenfalls offiziell.

Druck: Fränkische Nachrichten 3.6.2011