Im Februar des Jahres 1776 hoben einige Nassiger einen Graben aus. Man wollte Wiesen kultivieren, die an einen Weg grenzten. Der Weg führte auch über Gelände des Hofes Oedengesäß, also wurde auch dort der Graben gegraben.

Der Hof Oedengesäß gehörte damals zum Kloster Bronnbach. Nun berichtete der Bronnbacher Abt nach Würzburg von dem neu gegrabenen Graben. Denn das Graben war ohne sein Wissen erfolgt. Ohne seine Zustimmung aber, so der Abt, hatten die Nassiger in Oedengesäß nichts zu graben. Der Graben schädigte Rechte des Klosters. Für deren Schutz aber fühlte sich die Regierung in Würzburg zuständig. So gerieten die Nassiger und ihr Graben in einen damals bereits lange währenden Konflikt zwischen der Grafschaft Wertheim und Würzburg.

Am nächsten Morgen war der Graben wieder zugeschüttet. Das gefiel nun den Nassigern gar nicht. Schultheiß Johann Nikolaus Dosch machte sich mit vier Männern der Gemeinde auf den Weg, den Graben wieder auszugraben. Es soll morgens gegen sieben in der Früh gewesen sein, als sie auf neun Würzburger Husaren trafen. Husaren bedeutet: Soldaten zu Pferd. Zunächst sprachen die Würzburger ganz freundlich mit Dosch. Aber dann, so berichten hinterher die Nassiger, wird der Schultheiß von Pferden umringt, die Husaren greifen nach seinem Kopf. Sie rufen: „Alter! Du musst mit fort!“, und schlagen den Schultheiß. Zwei Husaren hauen mit Säbeln nach den Nassigern, einer droht mit seiner Pistole. Die Hände des Schultheißen werden zwischen zwei Pferden angebunden, er wird über Dörlesberg ins Kloster und dann nach Würzburg geführt. Einer der Würzburger Husaren soll auch noch auf die Nassiger geschossen haben.

Ein großer Aufruhr also damals in Nassig. Was stand hinter dem Vorgehen der Husaren aus Würzburg, das für die Nassiger eine willkürliche Gewalttat war? Warum war der Schultheiß von Nassig entführt worden?

Die Würzburger warfen ihm die Verletzung von Rechten des Klosters in Oedengesäß vor. Die Nassiger sollten sozusagen in fremdem Grund und Boden gegraben haben. Dabei ging es nicht nur ums Eigentum, sondern um die Landeshoheit: Das Kloster Bronnbach war ein eigenständiges Territorium und vom Grafschaftsort Nassig aus gesehen sozusagen Ausland. Die Grafschaft hatte dort gar nichts zu sagen, meinte man in Bronnbach, sie bekam keine Steuern und durfte kein Gericht halten. Und was für Bronnbach galt, galt auch für den Bronnbacher Gutshof Oedengesäß, weil der nämlich schon sehr früh von den von Vehingen dem Kloster geschenkt worden war und niemals zur Grafschaft gehört hatte. Die Regierung der Grafschaft Wertheim (und die Gemeinde Nassig) sahen dies anders. Ihrer Meinung nach hatte das Hofgut gar keine eigene Gemarkung, Landeshoheit und Forstrechte gehörten nach Wertheim.

Da war der Nassiger Schultheiß in eine schwierige Geschichte hinein geraten. In Würzburg wurde er verhört. Ein Nassiger sah den Schultheißen noch „weinend“ in der Würzburger Wachstube, danach wurde er ins Würzburger Zuchthaus gebracht.

Die Wertheimer Regierung handelte sofort. Schließlich ging es um eine Grundsatzfrage. Natürlich konnte man unmöglich akzeptieren, dass die Würzburger ihre Ansprüche einfach gewaltsam mit Husaren durchsetzten. Also wurden Protokolle aufgenommen, in denen die Nassiger das unerhörte Geschehen detailliert schilderten. Die Gemeinde formulierte ihr Entsetzen über die Behandlung des Schultheißen, der mit 64 Jahren nicht mehr der Jüngste war und eine über 70 Jahre alte Frau hatte. Beliebt war er auch, schrieb die Gemeinde, die nun mit ihren 120 Männern ohne Schultheiß dastand. In Wertheim machte man aus den Berichten ordentliche juristische Schriftsätze, die mit einer Klage beim Reichskammergericht in Wetzlar eingereicht wurden. Ihr Ziel: Die sofortige Freilassung des gewaltsam entführten Schultheißen. Man könnte sagen: Husaren hatte man in Wertheim nicht, Juristen aber schon. Daraus entstand dann ein Prozess, der über 20 Jahre dauern sollte.

So lange sollte es zwar nicht dauern, bis Dosch das Zuchthaus wieder verlassen konnte. Aber immerhin gut zehn Wochen hatte er doch einzusitzen. Dabei bekam er immer mal wieder Besuch von seiner Familie oder Abgesandten der Gemeinde, die ihn mit Essen versorgten. Das Würzburger Zuchthaus war nämlich eine moderne Haftanstalt in dem Sinne, dass ihre Insassen durch Arbeit zu besseren Menschen gemacht werden sollten. Dosch beschäftigte sich zusammen mit anderen „Züchtlingen“ damit, Wolle zu zupfen. Aber es ging ihm nicht gut. Den linken Arm konnte er wegen der Schläge der Husaren nicht mehr bewegen. Auch der linke Fuß schmerzte, weil das Pferd ihm auf dem Weg nach Würzburg dauernd drauf getreten war. Und er litt mental. Die Mithäftlinge machten sich darüber lustig, dass sie einen Schultheißen zur Gesellschaft hatten.

Nach gut vier Wochen kam vom Reichskammergericht die Nachricht, Würzburg solle den Schultheißen gegen Kaution freilassen. Doschs Sohn und Tochter machten sich aus Nassig auf den Weg, den Vater abzuholen. Johann Nikolaus Dosch sah schlecht aus. Er stand nicht mehr gerade und sprach wenig. Das Ungeziefer im Zuchthaus setzte ihm zu. Er flehte seine Kinder an, für seine Freilassung zu sorgen. Vor 20 Jahren ist Paul Schlessmann aus Nassig im Würzburger Zuchthaus gestorben, da kann er sich noch gut daran erinnern. So will er nicht enden.

Aber aus der Freilassung wird erst mal nichts. Denn der Verwalter des Zuchthauses verlangt Geld. Wenn sie keins hätten, müsste ihr Vater im Zuchthaus sterben und verfaulen. Ohne Geld dürfen sie ihn auch nicht mehr sehen. Die Wertheimer Regierung hatte aber verboten, etwas zu bezahlen – schließlich sei Dosch ja vollkommen unschuldig.

So dauerte es noch bis Anfang Mai, bis Dosch nach Nassig heimkehren konnte. Für seine Freilassung hatte er schließlich zehn Gulden hinterlegen müssen. Die Konflikte rund um den Bronnbacher Hof in Oedengesäß waren damit nicht erledigt. 1783 gab es einen großen Streit, als Hofbauer Hans Georg Hörner heiraten wollte und Bronnbach und Wertheim sich nicht einigen konnten, wer ihm dafür die Erlaubnis geben durfte. Aber zu einem Einsatz von Gewalt wie beim Vorgehen der Würzburger Husaren gegen den Schultheißen kam es anscheinend nicht mehr. So mündete dieser für die Zeit des Alten Reiches in unserer Region sehr typische Konflikt um einen Graben friedlich in eine Auseinandersetzung vor Gericht.

Druck: Fränkische Nachrichten 5.4.2013