In den 800 Jahren Geschichte, die Nassig in diesem Jahr feiert, hat sich eine erhebliche Zahl Geistlicher um die Einwohner des Ortes gekümmert. Sie hatten es nicht immer leicht. Vom Pfarrer Veit, der in den Reformationsjahren über 50 Jahre Dienst in Nassig tat und sich nach seiner Pensionierung wegen vergessener Hostien mit dem Vorwurf der Sakramentenschändung auseinandersetzen musste, war hier bereits die Rede. Am Ende dieses Jahrhunderts gab es dann in Nassig noch ganz andere Vorwürfe gegen einen Pfarrer. Sie waren derart schwerwiegend, dass er nicht nur abgesetzt wurde, sondern sogar eine Zeitlang in Wertheim im Turm inhaftiert war.
Martin Hug stammte aus Stepfershausen in Thüringen und wurde 1592 Pfarrer in Nassig. Ein Nachteil dieser Pfarrei im Vergleich mit anderen war ihre Größe, handelte es sich doch eigentlich um eine Pfarreiengemeinschaft. Boxtal, Ebenheid, Rauenberg, Wessental und Sonderriet wurden von Nassig aus mitversorgt, weshalb der Pfarrer häufig unterwegs sein musste. Pfarrer Hug hielt auch noch selber Schule und verlangte, dass die Eltern ihre Kinder aus diesen Orten zu ihm schicken sollten. Unter den Eltern gab es aber bald Unzufriedenheit. Hug galt als faul. Einmal schickte er die Kinder nach Hause unter dem Vorwand, sie sollten ihren Eltern beim Heumachen helfen.
Dann bekam Hug auch Ärger wegen eigenmächtiger Baumaßnahmen. Ein neuer Backofen im Pfarrhaus, ein Brunnen, eine besondere Kanzel in der Kirche – all dies hatte der Pfarrer in Auftrag gegeben, ohne es in Wertheim genehmigen zu lassen. In der Nassiger Kirche ließ er ohne Wissen der Herrschaft einen neuen Altar aufstellen und nutzte die Gelegenheit, um mit den Bauern, die die Steine dafür brachten, die ganze Nacht zu saufen. Auch in Boxtal genehmigte er sich eine neue Kanzel, obwohl der Amtmann dagegen war. Er meinte, die vorhandene Kanzel reiche aus und dem Pfarrer ginge es nur um „seine Pracht“. Hug gelang es aber, die Boxtaler dazu zu bringen, hinter dem Rücken der Herrschaft eine neue Kanzel zu finanzieren.
Er wollte offenbar gerne etwas hermachen, der Pfarrer Hug. In Freudenberg geriet er in einen Konflikt mit dem dortigen Stadtschreiber, weil er auf der Freudenberger Kirchweih mit „großem Gepräng“ aufgelaufen war, gekleidet fast wie ein Adeliger. Aber auch im Umgang mit den Gläubigen gab es Schwierigkeiten. Hug bestand nämlich darauf, dass seine Pfarrkinder bei ihm zur Kommunion gingen. Wer dies nicht tat, dem verweigerte er im Todesfall schon mal die Leichenpredigt. Adelsgleich, von sich selbst überzeugt und mit einer Tendenz zu eigenmächtigem Handeln: Pfarrer Hug scheint eine jener Spezial-Persönlichkeiten gewesen zu sein, wie sie auf herausgehobenen Posten immer wieder vorkommen. Er war auch dafür bekannt, sich von Amtleuten nichts befehlen zu lassen und den Nassiger Kirchner wie seinen Knecht zu behandeln. Und ein anderes Problem scheint ihn dauernd begleitet zu haben: der Suff. Im März 1598 hatte er einmal in Boxtal gesoffen und einen aus Sonderriet, der sein Kind taufen lassen wollte, gezwungen, es ihm nach Boxtal hinterherzutragen. Dasselbe passierte auch in Wertheim. Hug saß dort beim Wein, als Andres Hoffmann aus Sonderriet sein schwächliches Kind taufen lassen wollte. Schwächlich heißt: Hoffmann fürchtete den baldigen Tod des Kindes und wollte es rasch taufen lassen. Hug aber wollte sich nicht stören lassen und meinte nur, die Weiber sollten halt eine Nottaufe machen. Hoffmann musste ihm auf der Tauberbrücke beim Barbier eine Menge Schoppen spendieren, bis er „doll und voll“ war. Schließlich taufte Hug das Kind im Suff, und der Hoffmann fragte sich dann, ob so eine Taufe überhaupt gültig sei.
Es gab noch ein weiteres Gebiet, auf dem Pfarrer Hug eine Menge Vorwürfe ansammelte. Der Begriff der Zeit dafür war „Hurenhändel“. Die Tochter von Michael Kress sollte er für einen Philippstaler gekauft haben, was ihr eigener Vater bezeugte. In Nassig war er mit einer Dirne in der Scheuer des Schmieds verschwunden, sodass die Frau des Schmieds ein Schloss anbringen ließ, um Derartiges in ihrer Scheuer in Zukunft zu verhindern. Mehrere Frauen hatte er „attentirt“ (zu verführen gesucht), und wenn sie das publik machten, hatte er sie nicht zur Kommunion zugelassen. Die Frau von Georg Eckert aus Rauenberg hat er so „attentirt“, dass sie ihm „nackend aus dem Bett“ hatte entrinnen müssen. Gleiches war mit der Frau des Rauenberger Wirts geschehen. Aus Sicht des Pfarrers hatte die Pfarreiengemeinschaft wohl auch ihre Vorteile. Mit der Frau von Wolf Flach, der nach Ungarn gezogen war, hatte er nachts im Garten des Wirtshauses getrunken und getanzt. Bei Kilian Brenner hatte er gewartet, bis alle eingeschlafen waren, und sich dann ins Zimmer der Magd geschlichen, worauf die in ein anderes Zimmer flüchten musste. Seinem Kirchner hatte er Korn versprochen, wenn er ihm die Frau von Dr. Schwarzenberger aus Wertheim zuführte, was Stadtmüller Bocatius als Zeuge bestätigte. Der Frau von Georg Selig aus Boxtal hatte er im Wald „unkeusche Sachen“ zugemutet. Als er dies nach der Kirche, ihr Mann war schon auf dem Feld, erneut versuchte, weigerte sich die Frau: Er lehre doch, niemand solle sich einer anderen Frau gelusten. Hugs unschlagbare Antwort darauf: Man muss aber auch barmherzig sein.
Wie es mit Pfarrer Martin Hug nach seiner Absetzung und Inhaftierung in Wertheim weiterging, ist nicht bekannt. Es soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden, dass er selbst sich für vollkommen unschuldig erklärte und immer wieder auf seine kleinen Kinder hinwies, die er zu versorgen hatte. Was die Vorwürfe gegen ihn anging, hatte Pfarrer Hug aus Nassig jedenfalls eine stattliche Liste zusammenbekommen. Für die Zeit der alten Grafschaft Wertheim war sie entschieden rekordverdächtig.
Druck: Fränkische Nachrichten 8. 8. 2013