1621 wurde Albrecht Steiner aus Sulzbach als „Musicant und Turmwächter“in Wertheim eingestellt. Dort sollte er auf dem Schlossturm bei Tag und Nacht die Wache versehen und stündlich „der Stadt Uhr nachziehen und klingen lassen“. Seine wichtigste Aufgabe bestand im Melden von Feuern, die er vom Schlossturm aus in der Stadt oder im Umland erkennen konnte. Solches sollte er sogleich „mit dem Glockenstreich anmelden“. Morgens, mittags um zwölf und zur Nacht sollte er „ein Stücklein abblasen“. War einer der Grafen im Schloss anwesend, musste Steiner mittags und abends „zu Tisch blasen“. Mit Schloss ist die heutige Burg gemeint, die damals noch nicht zerstört war. Vom Turm aus hat man bis heute eine phantastische Aussicht nach allen Seiten. Kutschen, Schiffe, Flöße und Fußreisende auf dem Weg nach Wertheim hatte der Türmer anzukündigen. In der Kirche blies er an Sonn- und Feiertagen sowie bei Hochzeiten und anderen Anlässen, Mittwoch und Samstag hatte er sich zum Musikunterricht in der Schule einzufinden. Sollte einer der Knaben – von Mädchen ist hier nicht die Rede – „Lust zu der Posaun bekommen“, hatte er diesen zu unterrichten. Schließlich hatte er einen Jungen einzuweisen, der ihn auf dem Turm vertreten konnte. Und als letzter Punkt sollte er jederzeit, wenn die Grafen dies wünschten, vor ihnen aufspielen.
Ein ganzer Sack voller Aufgaben war es, den Steiner da zu erledigen hatte. Auf seinem Turm war er eine Art früher Katastrophenschutz, der bei Gefahr die Wertheimer durch einen Stoß in sein Instrument zu warnen hatte. Mit den Uhrzeiten gab er der Stadt den Takt vor. Dann Kirchenmusik und Musikunterricht in der Schule. Und schließlich war er eine Art Hofmusiker, der bei Bedarf für Unterhaltung bei Hofe zu sorgen hatte. Für all diese Mühen erhielt Steiner 50 Gulden und zehn Malter Korn jährlich. Das war nicht allzu viel, und es wundert wenig, dass die Grafen sich häufig nach einem neuen Türmer umsehen mussten.
Wie die Türmer es überhaupt schafften, ihren Aufgaben nachzukommen, darauf gibt ein Schreiben von Steiners Witwe Dorothea Hinweise. Albert Steiner verstarb nämlich bereits Mitte des Jahres 1623. Nach seinem Tod hatte die Witwe den Dienst einfach weiter versehen, unterstützt von ihrer Familie. Sie habe „die Wacht auf dem Turm fast dreiviertel Jahr mit den Meinigen versehen“, schrieb Dorothea Steiner an die Grafen. Offensichtlich war bei einem Musikanten und Türmer in Wertheim die ganze Familie im Einsatz. Vielleicht liegt hier auch die Erklärung, wie Steiner es schaffen konnte, gleichzeitig oben auf der Burg nach Feuer auszuspähen und unten in der Stadt die Uhr nachzuziehen. Er schickte jemanden aus der Familie runter. Und wenn der Vater starb, machte die Mutter als Oberhaupt weiter, zumindest eine Zeitlang. Wir nehmen dies als Hinweis auf die häufig falsch eingeschätzte Rolle von Frauen in dieser Zeit. Eheleute waren „Arbeitspaare“, die aufeinander angewiesen waren. Frauen waren voll erbberechtigt, nur brauchten sie vor Gericht einen männlichen Vormund. Das Schreiben an die Grafen unterzeichnete Dorothea aber selbst. Sie forderte ausstehenden Lohn ein, und zwar ausdrücklich für die Zeit nach dem Tod ihres Mannes, also für ihre eigene Arbeit.
Den Arbeitsvertrag der Türmer stellten die Grafen aus und auf die Grafen wurden sie verpflichtet. Die Stadt hatte da nichts zu melden. Die Türmer waren oben auf dem Schloss stationiert, von wo man ja auch den besten Blick hatte. Wenn sie von dort aus über die Stadt bliesen, vor Feinden und Feuer warnten oder die Nacht ankündigten, dann erinnerte dies die Wertheimer nebenbei auch daran, wer der Herr in Wertheims Mauern war.
Druck: Fränkische Nachrichten 17.11.2009