Frauen spielten in der Frühen Neuzeit eine aktivere Rolle, als viele heute annehmen. Erst im späten 18. Jahrhundert kam der Gedanke auf, sie seien gewissermaßen von Natur aus auf eine zurückgezogene Rolle in der eigenen Familie beschränkt. Dort bestand ihr Part dann darin, in sensibler Weise für den emotionalen Zusammenhalt zu sorgen (so das 19. Jahrhundert), bevor Dr. Freud um 1900 die Kehrseite dieser Rolle entdeckte und eine Theorie der Zerstörungskraft unterdrückter Gefühle entwickelte.

Vor all diesen Überlegungen führten Frauen bisweilen die Ämter ihrer verstorbenen Männer weiter, was niemanden groß wunderte. Als Witwen waren sie Haushaltsvorstände, zahlten Steuern und waren erbberechtigt. Und Frauen hatten in der Frühen Neuzeit einen ganz eigenen Kampfplatz, auf dem sie mitten in der Gesellschaft und vor aller Augen schwere Gefechte austrugen. Ein sehr herausgehobener Ort, den man eigentlich mit Kämpfen kaum verbindet. Und doch zog manche Wertheimerin in die Schlacht, wenn sie sich zum Gottesdienst aufmachte. Schauplatz der Kämpfe war die Kirche.

Dort standen und saßen die Gläubigen in Kirchenstühlen, deren Standort auf subtile Weise Einfluss und soziale Bedeutung signalisierte. Zu sitzen bedeutete mehr, als nur zu sitzen. Der Sitzplatz war Symbolkapital, wie die Historiker heute sagen. Und wie immer, wenn es um Kapital geht, wollen die einen es erobern und die anderen es verteidigen.

So wie 1622 Dorothea Konrad, die sich mit Anna Maria Schumpp in der Kirche derart prügelte, dass Blut aus Mund und Nase schoss. Die Schumpp hockte auf einem Platz, den die Konrad haben wollte. Dabei war der Stuhl über 40 Jahre von der Witwe von Balthes Hoffmann besessen worden, die dann einen Schumpp geheiratet hatte, weshalb der Stuhl nach ihrem Tod an Mutter Schumpp kam und von der eben an die Frau von Stefan Schumpp. So sah es jedenfalls Stefan Schumpp. Wir sehen daran, dass Sitze in der Kirche damals wie Privatbesitz vererbt und weitergegeben werden konnten. Nun gab es jeden Sonntag Zank und Gezerre, Geschupse, Gestoße und sogar Schläge in der Kirche. Schumpp klagte beim Stadtschultheiß, der aber sagte, der Gotteshausmeister sei zuständig, auf den hörte Dorothea aber nicht, also landete die Sache bei der Kanzlei.

Der Streit war kein Einzelfall. Im selben Jahr stritt sich auch die Frau von Balthasar Beck mit der des Büttners Hans Walk. Beck Beklagte sich, das Weib habe sich erfrecht, „einen Sitz in meiner Hausfrauen erkauften Stuhl in der Kirchen einzunehmen“. Darüber gab es viel Streit in der Kirche. Die Büttnerin hatte gar seine Tochter „zum Stuhl hinaus zu dringen zu stossen nit ablassen wollen“, sodass sie fast über die Schwelle in die Kirche gefallen wäre. Gotteshausmeister Stolzenberger schrieb dazu: beim Streit Hausfrau Beck samt Tochter gegen Hausfrau Walk sei es mit Schlagen, Treten und Stoßen so arg zugegangen, dass Blut geflossen ist, schlimmer als bei einem Wirtshausstreit. So ging es zu in den „Weiberstühlen“, wie die Kirchenbänke für die Frauen genannt wurden.

Im Jahr darauf ließen sieben Frauen, die bislang nicht über feste Plätze in der Kirche verfügten, durch zwei Schreiner eine eigene Bank mitten in der Kirche aufstellen. Eigenmächtig und bei Nacht und Nebel, wie daraufhin nicht weniger als 29 Wertheimer in einem Brief an die Kanzlei schrieben, deren eigene Sitze bei der Gelegenheit „weggebrochen“ worden seien. Die Sieben verteidigten sich, man habe nichts weggebrochen, sondern höchstens ein wenig zur Seite gerückt. Eine von ihnen schrieb, sie sei nun seit zehn Jahren verheiratet und habe wegen des fehlenden Kirchensitzes manches ertragen: „Ich habe mich müssen lassen pfetzen, zwicken, mit Füßen treten, mit Nadeln stechen“, alles wohlgemerkt in der Kirche, und obwohl sie nicht wenig gespendet habe, habe sie bis heute keinen Sitz erlangen können. Die etablierten Kirchenstuhlbesitzer verteidigten ihren Besitz mit allen Mitteln. Und wer keinen hatte, der ging wohl sonntags mit flauem Gefühl in die Kirche, nicht wissend, wo er sich einen Platz würde erkämpfen können.

Wie bedeutsam der Sitz in der Kirche für die Darstellung der eigenen Position in der Stadt Wertheim war, musste 150 Jahre später auch Konrektor Johann Friedrich Neidhart erfahren. Neidhart ist als langjähriger Rektor des Gymnasiums und Verfasser diverser historischer Schriften zur Grafschaft Wertheim bis heute als honoriger Mann bekannt. Da liest man mit einem gewissen Bedauern, dass dieser Mann 1771 mit seiner Kirchenstuhlsituation in der Kirche unzufrieden war. Rektor und Konrektor hatten dort nämlich traditionell einen gemeinsamen Kirchenstuhl, durch einen Gang von den Weiberstühlen getrennt. Nun war es aber zu Umbauten gekommen, und zum Missfallen des Konrektors war sein Stuhl an die der Weiber herangerückt. Man könnte nun, schrieb er, die Weiber geradezu berühren, wenn nicht noch ein Brett dazwischen wäre. Außerdem ist der Stuhl nach dem Umbau derart schmal, dass er nach einer Stunde „Schmerzen in den Füßen empfindet“. Neidharts Vorschlag: Zwei neue Kirchenstühle, für jeden Lehrer einen, und zwar neben dem Altar. Der Vorschlag hörte sich gut an, jedenfalls für den Lehrer, wäre er doch nicht nur von den Weibern weg, sondern in unmittelbare Nähe des Altars gerückt. Chorverwalter und Regierung sahen das allerdings ganz anders. Für sie gehörten Lehrer nicht an den Altar, sondern eher ganz nach hinten. Sie formulierten ihre Ablehnung so: Lehrer am Altar würden den anderen Gottesdienstbesuchern nur die Sicht verdecken, und: Neidhart solle hocken wie seine Vorgänger, bis er vom Schulstaub erlöst würde.

Druck: Fränkische Nachrichten 15.2.2011