Heute finden sich kaum noch Singvögel auf unserem Speiseplan. Gelegentlich hört man noch aus Italien etwas von Vogelfang mit dem Ziel des Verspeisens und wendet sich mit Grausen. Bereits in Meyers Konversationslexikon von 1909 heißt es, das Vogelfangen habe „bei weitem nicht mehr die frühere Bedeutung, weil der Betrieb sich nicht mehr lohnt und weil polizeiliche Vogelschutzverordnungen ihn unterdrückt haben.“ Trotzdem stellt das Lexikon die verschiedenen Methoden zum Vogelfangen noch auf einer ganzen Seite vor. Daran kann man sehen, wie verbreitet es in früheren Zeiten war, den Speisezettel durch den einen oder anderen Vogel zu ergänzen. In der Enzyklopädie von Krünitz, erschienen 1799, werden seitenweise Methoden zum Fang von Lerchen beschrieben. Rezepte werden auch geboten: Lerche mit Sauerkohl, Lerche mit Weinbeeren, Lerchenpastete, Lerchenragout. Es gab sogar den speziellen Begriff „Lerchengarn“ für besondere Netze, um die Vögel einzufangen, bei denen dann nochmals zwischen Nachtnetzen, Tagnetzen und Klebenetzen unterschieden wurde.

Sing- und Stubenvögel

In der erwähnten Enzyklopädie von Krünitz wird auch dem Zähmen von Singvögeln und ihrer Haltung breiter Raum eingeräumt. Man hat also in der Frühen Neuzeit die Vögel nicht nur verspeist, sondern hielt sie auch als Haustier zur Unterhaltung. Zur Fütterung von Stubenvögeln empfahl Krünitz Mehlwürmer, Schaben und Ameiseneier. Vor allem Ameiseneier sollten bei Singvögeln, die nicht mehr sangen, Wunder wirken.

Auch am Wertheimer Hof aß man Vögel. 1607 wurden einmal acht „Grometsvögel“ (vermutlich Drosseln) zur Hofhaltung geliefert, wofür gut fünf Taler gezahlt wurden. Der eher hohe Preis spricht dafür, dass diese Vögel Delikatessencharakter hatten. Zum Vergleich: Vier Bücklinge kosteten damals zwei Taler, für zwei Gänse musste die Hofhaltung acht Taler anlegen.

Zum Fangen der Vögel wurden besondere Vorrichtungen errichtet, die man „Vogelherde“ nannte. In der Regel dürften sie mit Netzen funktioniert haben wie später bei Krünitz beschrieben. Mancher Vogelfänger benutzte auch besonderen Vogelleim, hergestellt zum Beispiel aus Misteln, auf dem die Tiere dann kleben blieben (sie waren dem Fänger „auf den Leim gegangen“). Andere verwendeten Lockvögel, angebunden oder in Käfigen, die ihre Artgenossen durch ihren Gesang in die Falle locken sollten, oder sie imitierten die Artgenossen mit Pfeifen oder „Vogelorgeln“.

Hammersack auf dem Haidhof

Anders machte es 1777 der fürstliche Heiduck Hammersack, der die Lerchenpacht auf dem Wertheimer Haidhof hatte, also dort Lerchen fangen durfte. Der Haidhofpächter beschwerte sich bei der Hofkammer über Hammersack, weil der nicht nur Rüben und Kohlrabi von den Feldern stahl, sondern auch mit einer Flinte herumging. Das Lerchenfangen scheint bei Hammersack zu einem Abschießen geworden zu sein. Die Hofkammer ihrerseits wusste von einer Lerchenpacht durch den Hammersack gar nichts, während das Forstamt erklärte, von der Regierung den ausdrücklichen Befehl erhalten zu haben, die Pacht dem Hammersack zu übertragen. Die Regierung wiederum erklärte dies für eine unwahre Erfindung des Forstamts, hielt aber gleichzeitig fest, der Lerchenfang falle ins Jagdrecht, mit dem die Hofkammer nichts zu tun habe, und der Forstmeister dürfe das Fangen verpachten. Die Vogelangelegenheiten waren, so scheint’s, bei den Wertheimer Behörden beliebt. Alle wollten zuständig sein.

Vogelweiden

Die Tradition des Vogelfangens und Verspeisens lässt sich in der Grafschaft Wertheim weit zurück verfolgen. Diejenigen Stellen, an denen sich die Vögel besonders gerne aufhielten, nannte man „Vogelweiden“. Das waren die bevorzugten Futterplätze der Tiere, an denen man ihnen gut nachstellen konnte. Vogelweiden wurden verpachtet. In einem Pachtverzeichnis aus dem Jahr 1580 kann man nachlesen, dass es in fast allen Grafschaftsorten solche Vogelweiden gab. In Helmstadt zahlten die Pächter neun Gulden Pacht, in Holzkirchen und Höhefeld drei, in Sachsenhausen zehn, in Urphar sechs, in Kembach, Tiefental und Holzkirchhausen nur je einen Gulden. Warum manche Orte bei den Vögeln nicht so beliebt waren, wird sich vermutlich nicht mehr feststellen lassen. Jedenfalls hatten die Vogelweiden ganz unterschiedliche Erträge.

Wir können festhalten, dass es in der Grafschaft Wertheim seinerzeit eine beträchtliche Zahl von Vogelweiden gab. Eine Feststellung mit erheblichem Potenzial. Möglicherweise wird es eines Tages gelingen, mit Walter von der Vogelweide auch den bekanntesten aller Sänger des Mittelalters für Wertheim zu reklamieren.

Druck: Fränkische Nachrichten 26.10.2011